Ein Jahr vor dem Film "Speer und Er" von Breloer habe ich Marcel Reich- Ranicki zu seiner furchtbaren Begegnung mit Albert Speer in einem Interview für die Netzeitung befragt.
Als das Buch Reich-Ranickis "Mein Leben" 1999 erschien, fragte ihn kaum ein Journalist nach der darin beschriebenen Begegnung mit Albert Speer. Die Journalisten waren bis heute vor allem auf ein anderes Zusammentreffen fixiert, nämlich dem ebenfalls in "Mein Leben" beschriebenen Treffen Reich-Ranickis mit Ulrike Meinhof. Die historisch weit aus bedeutsamere Begegnung mit dem intimsten Freund und Mitarbeiter Hitlers Albert Speer, der jahrzehntelang als jemand galt, der von Ausschwitz und den Verbrechen der Nazis nichts gewußt haben soll, mit den beiden Überlebenden des Warschauer Ghettos Tosia und Marcel Reich- Ranicki, deren nächste Verwandte von den Nazis ermordet wurden, blieb dagegen weitgehend unbeachtet.
Lesen Sie hierzu die Netzeitung von heute über Albert Speer: Was die Speer-Biographen nicht wissen wollten
Das gesamte Interview mit Reich-Ranicki vom 1.und 2. April 2004 finden Sie auf Der Mainstream
Netzeitung zu der Begegnung von Reich-Ranicki udn Speer im Hause Wolf Jobst Siedlers anlässlich der Buchpräsentation des Buches von Joachim Fest über Albert Speer im Jahre 1973:
Lesen Sie hier die Passage aus dem Interview in der
Ehrengast Albert Speer
(Ausschnitt aus dem Interview mit Marcel Reich-Ranicki für die Netzeitung vom 2.4.04)
Röhl: Sie beschreiben, dass FAZ-Mitherausgeber Joachim Fest, als Sie Anfang der siebziger Jahre in Frankfurt bei der FAZ als Literaturchef im Feuilleton begannen, Sie zu der Präsentation seines Buches "Hitler. Eine Biographie" nach Berlin eingeladen hatte und Sie und Ihre Frau dort Albert Speer persönlich begegneten. Und dass dies ein schockierendes Erlebnis natürlich war. Ich empfinde diese Begegnung als eine der ungeheuerlichsten Erlebnisse in dem Buch überhaupt, diese Zusammenführung auf einem Parkett...
MRR: Ja!
Röhl: ....wo Albert Speer nicht als Kriegsgefangener oder als Verbrecher vor Ihnen stand, sondern quasi als eingeladener...
MRR: Als Ehrengast! Was wollen Sie von mir wissen? Es steht alles in meinem Buch!
Röhl: Ja, mir scheint fast zu wenig. Ich finde, dass dieser Punkt keine angemessene, öffentliche Beachtung gefunden hat, wenn ich das sagen darf. Ich habe gelesen, dass Sie ( zu Tosia RR gewandt) sehr erschrocken waren über den für sie überraschenden Gast.
MRR: Ja.
Röhl: Ist das von Joachim Fest eine Art Koketterie gewesen? Wollte er wissen: Wie reagieren die jetzt? Wie sind Sie mit dieser Situation umgegangen?
MRR: Ich bin überzeugt, dass Joachim Fest sich überhaupt nicht dessen bewusst war, was er mir damit angetan hat. Und ich bin überzeugt, dass es für Joachim Fest eine Ehre war, dass eine so historische Persönlichkeit wie Albert Speer bei der Präsentation seines Buches zugegen war.
Röhl: Okay, wenn er in Handschellen dort gestanden hätte, in einer Ecke.
MRR (lacht): Ich verstehe Sie.
Tosia RR (lacht)
MRR: Er war ein eleganter Herr ohne Handschellen. Sehr elegant, dezent angezogen, überaus höflich. Eingeladen wurde er von Wolf Jobst Siedler. In dessen Wohnung fand ja die Sache statt. Und der Siedler scharwenzelte um ihn her, um den Ehrengast.
Röhl: Er bekam die Aufmerksamkeit.
MRR: Ja.
Röhl: Er war der Mittelpunkt.
MRR: So war's.
Tosia RR: So war's.
Röhl: Und Sie können dann ja nicht hingehen und ihm eine runterhauen, wenn ich es mal salopp ausdrücken darf. Es gibt einfach kein angemessenes Mittel. Was macht man da in dieser Situation?
MRR: Wissen Sie, die Sache war die, dass ich mir einen Augenblick überlegt habe, wie ich reagieren soll. Und da kam von hinten oder von der Seite Siedler und führte mich hin zu ihm, ganz schnell ging das. Ich war schon da! Ich hatte von ihm fünf, sechs Schritte entfernt gestanden - und nun stand ich direkt vor ihm und er grüßte mich. Er war schon darauf aufmerksam gemacht worden, dass da noch ein Jude übrig geblieben ist und jetzt da ist, den er gleich sehen wird.
Röhl: Er war bestimmt vorher genau informiert worden.
MRR: Bestimmt war er das, das weiß ich. 'türlich! Er war vorbereitet. Er war zu mir auf übertriebene Weise höflich.
Tosia RR: Natürlich!
Röhl: Das sprengt den Rahmen, wenn so einer geladen wird als Ehrengast, dann gibt es keine Handlungsmöglichkeiten mehr.
MRR: Ja. Und denken Sie an die Äußerung von ihm, die ich zitiere! Das Buch war ja aufgebahrt auf einem Pult mit Samt bezogen und er kuckte auf das Buch und dann nach oben und sagte: ER hätte seine Freude dran. Ja, ER, Adolf Hitler.
Allerdings hätte MRR spähtenstens da alle Beziehungen zu Fest und auch der FAZ abbrechen müssen.
Kommentiert von: Sandy Bates | Februar 27, 2011 um 02:01 nachm.