Anlässlich der Montagsdemonstrationen von August 2004
Montags nie ?
Eine Polemik von Bettina Röhl
Hartz IV ist letzten Endes, wie man es auch dreht und wendet, ein Regelwerk des Verteilungskampfes. Bei vier bis sechs Millionen Arbeitslosen sind 10-15 % der bundesdeutschen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ohne Arbeit. Von deren Arbeitslosigkeit betroffen sind deren unterhaltspflichtige Kinder und sonstige abhängige Angehörige.
Damit ist der Kreis, der von der Arbeitslosigkeit betroffen ist und von dem Verdienst der Arbeit Habenden mit ernährt werden muss, ziemlich groß und durch die zunehmende Überalterung der Gesellschaft tendenziell größer werdend. Die Arbeitslosigkeit, um es entpersonalisiert auszudrücken, belastet, wie jeder weiß, die Haushalte des Bundes und des Länder in erheblichem Umfange und in der Prognose zunehmend, wenn nichts geschieht:
Das was geschehen soll, nennt sich Hartz IV und es wird als die größte Reform des Sozialstaates der Bundesrepublik Deutschland von der Regierung verkauft. Damit wäre das Thema natürlich eine Ehre für diejenigen, die sich vor 15 Jahren Montags für die deutsche Einheit eingesetzt hatten. Immerhin sagt die Regierung, dass das in 130 Jahren gewachsene Sozialsystem mit der größten Sozialreform der bundesrepublikanischen Geschichte jetzt auf qualitativ neue und sehr viel dünnere Füße gestellt werden soll. Für lange Zeit.
Die Gruppe der Arbeitslosen, die nie eine Lobby hatte, weil sie von der Kapitalseite naturgemäß nicht sonderlich geschätzt wurde, aber auch in den Gewerkschaften, die vor allem die Arbeit habende Mehrheit vertraten, bei allem lauten Getöse nicht die Lieblingszielgruppe waren, wird erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik ernstlich über den Tellerrand gedrängt.
Daran ändert es nichts, dass behauptet wird, manche kriegten ja sogar mehr Geld vom Staat und überhaupt, wer arbeitswillig ist soll ja auch in Arbeit gebracht werden. Es ist ja schön und gut, wenn festgestellt wird, dass manches Horrorszenario von den BILD-Populisten irreal ist; aber es geht um Kürzung, um Entlastung der Haushalte und um die Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt durch Senkung der Lohnnebenkosten zur Verbilligung der in Deutschland erzeugten Waren und Dienstleistungen, um auch diesen Fetisch nicht zu vergessen.
Die Behauptung, dass durch Hartz IV mehr Menschen in „echte“ Arbeit gebracht werden, und dass damit die Haushalte entlastet und das Bruttosozialprodukt gesteigert würde, ist eine Behauptung über deren Realitätsgehalt man sich in ein paar Jahren noch einmal unterhalten sollte, deswegen bitte jetzt nicht die vollmundigen Versprechungen vergessen !
Ein Glück, dass die Apo-Opas die Bundesregierung stellen. Welche Katastrophe, wenn etwa Schwarz-Gelb nämlich denselben Hartzer Käse sogar noch in sozial doppelt und dreifach abgemilderter Weise in Anerkennung derselben gesellschaftlichen, gesamtwirtschaftlichen und demographischen Entwicklung hätten Gesetz werden lassen wollen. Man kann ganz sicher sein, exakt dieselben Kräfte und Menschen in der SPD, bei den Grünen, bei den Gewerkschaften usw. hätten mit Massenprotesten die Republik lahm gelegt, wie sie es ja vor einigen Jahrzehnten schon beinahe getan hatten. Da wäre auch nicht das Sprüchlein gekommen, dass die Montagsdemonstrierer von Linksradikalen und einem kläglichen aber probat erscheinender Haufen Rechtsradikaler unterwandert seien. Es hätte Rambazamba gegeben, die alte Demonstrationswollust, das Wir- Gefühl auf den Aufmärschen der 68er, das hätte gezählt. Stattdessen ist jetzt in den etablierten Medien und von Regierungsmitgliedern Arbeitslosen-Bashing angesagt.
Die eigentliche historische Provokation liegt darin, dass die herrschende Klasse nicht zu intelligenten, verteilungsgerechten Lösungen fähig ist und noch weniger zu geistigen Innovationen, die den Wirtschaftsstandort Deutschland wieder an die Weltspitze bringen. Das einzige, was dieser Klasse einfällt ist zu kucken, wem kann man am einfachsten etwas wegnehmen. Damit liegt nichts als ein primitiver Rückfall in frühkapitatlistische Rezepturen vor und die SPD wie auch die Gewerkschaften verlieren damit zu Recht ihre Klientel weil sie ihre Existenzberechtigung insgesamt verlieren.
Der fruchtbare Kampf zwischen Kapital und Arbeit- nicht der von den Sozis oft unfruchtbar geführte – ist nicht schlecht, sondern gut für die Wirtschaft. Die Kapitalisten, die die Arbeit bringen sollen, schlafen sonst nämlich ein. Nicht der Manager, der am meisten Arbeitnehmer traktiert, ist betriebswirtschaftlich oder gar volkswirtschaftlich der beste Manager, sondern der, der seine Produkte so wettbewerbsfähig macht, dass er sich über die paar Lohn – und Lohnnebenkosten keinen Kopf machen muss. Das ist natürlich überspitzt ausgedrückt aber die Jammerei und die Droherei mit der Produktionsverlagerung in Billigregionen dieser Welt ist langsam wirklich nicht mehr mit anzuhören.
Deutschland kann nicht durch Lohnverzicht wieder Weltspitze werden, sondern nur durch Spitzenleistung, für die auch Spitzenpreise gezahlt werden.
Was geht die ganze Chose die Grünen an? Die Grünen sind ebenso wie die bürgerliche Opposition innerhalb des Regierungslagers sogar noch ein bisschen die Abstauber der gemeinsamen rot – grünen Erosion.
Peinlich ist, dass es ausgerechnet die 68er sind, die mit viel Brimborium, und sich im besten Fall sogar selber zermarternd, die unintelligente Hartz IV-Kiste durchsetzen wollen. Die 68er waren die Generation, um es überspitzt zu sagen, der Gammelstudenten, der Berufsrevolutionäre siehe Frankfurter Szene, der Taschengeld – Zocker bei Muttern und Oma. Sie sind diejenigen, die gepredigt haben: Technik und Naturwissenschaft sind unwichtig. Die gepredigt haben: Gesamtschule auf niedrigstem Niveau mit wichtigstem Fach soziales Verhalten gelehrt durch 68er, versteht sich. Sie sind die Generation, die Stamokap ( Gerhard Schröder) vertrat, 5000,- DM Einheitslohn für alle ( Wieczoreck-Zeul ), für Enteignung, Arbeiten nur im Lustfalle usw. Zu ihrer Ideologie gehörte es auch sämtliche Sozial – und Familienstrukturen zu zerstören, in denen volkswirtschaftlich vieles sehr viel günstiger geleistet wurde, was heutzutage teuer in Kranken-und Pflegeeinrichtungen und dergleichen mehr zu Marktbedingungen geleistet werden muss. Sie waren wirtschaftsfeindlich bis Unterkante Oberlippe. Sie behandelten Geld, als ginge es sie nichts an, weil die blöden „Spießer“, die täglich arbeiteten, das Geld schon ranschafften. Soziales Anspruchsdenken war ihr Credo.
Jetzt sind die 68er nicht so nachsichtig mit ihren Kindern und Enkeln. Die Mutation der 68er zu süffisant gelangweilten, raffgierigen, am Geld letzten Endes nicht interessierten Kapitalisten, gepaart mit absoluter geistiger Armut und Herzensarmut, kann wie Hartz IV zeigt, keine wirklichen Aufbruchenergien erzeugen.
Das Herumlaborieren ohne einen ökonomischen Paradigmenwechsel bringt nichts. Hartz IV ist kein Paradigmenwechsel. Diese Prognose soll hier gewagt werden.
Intelligenz muss her, nicht erst durch noch zu gründende Eliteschulen. Freies Unternehmertum muss sich lohnen und nicht das Unwesen der Kapitalfunktionäre, die sich gegenseitig die Millionen-Apanagen zuschanzen und natürlich nicht nur 10 Mio. Euro im Jahr als Vorstandschef der X AG kassieren, sondern noch tausend verschwiegene andere lukrative Quellen für sich sprudeln lassen, die dann auch die Chefredakteure der Medien nicht mehr gern benennen, weil sie selber in einer ähnlichen persönlichen Lage sind.
Bis zu einem bestimmten Grad macht ein hohes Einkommen kreativ, darüber hinaus führt es zur Verblödung.
Die kollektive Verblödung der Wirtschaftseliten auf der Kapitalseite wie auch auf Regierungsseite ist sinnfällig deutlich geworden, im Zusammenhang mit den 100 Milliarden DM die für nahezu wertlose UMTD – Lizenzen in den Sand gesetzt worden. Wie schön billig wäre das Mobiltelefonieren, wenn nicht alle Mobiltelefonierer aller Netzanbieter vor allen Dingen, deren Zinslast aus dem UMTS – Desaster bezahlen müssten. Ex – D2 – Boss Esser war ein sehr kluger Mann, als er sich seine 60 Mio. schwere, so genannte Abfindung wegen genialer Dienste im damaligen Selbstläufermarkt Mobilfunk rechtszeitig vor Bekanntwerden des UMTS – Pleite auszahlen ließ. .
Die in Mode geratenen Aufrufe: Bitte wieder Mut und Zuversicht, Risiko, Fleiß usw. bei gleichzeitigem wirtschaftlich produktiver Bescheidenheit, sind schön und gut. Mehr Kapitalismus und nicht weniger Kapitalismus, wie die 68er es demnächst 40 Jahre verlangt haben werden, ist sicher der richtige Weg. Die FDP verlangt es, die CDU fährt einen Eierkurs, aber der Kapitalismus muss von Verteilungsgerechtigkeit getragen sein, muss mehr von persönlichem Risiko getragen sein und weniger von Spekulationsirrsinn wie ihn die New Economy offenkundig werden ließ. Der ökonomische Muff von fast vierzig Jahren unter den Perücken der 68er muss weg. Das ist bereits ein ökonomischer Wert an und für sich.
Die PDS schuldet der Bundesrepublik etwas mehr als 1000 Milliarden Euro als Rechtsnachfolger der SED-so teuer ist das Desaster 40 Jahre Systemfehler nicht nur in Gestalt der 89 hinterlassenen Produktionsstätten und Infrastruktur, sondern auch in den Köpfen der ideologisch terrorisierten Deutschen in der DDR gewesen. Wie teuer Systemfehler sind, sieht man an Hartz IV.
Wenn die Montagsdemonstrationen trotz ihrer offenkundigen Hilflosigkeit einen Schritt zum Aufbruch verkrusteter ökonomischer Strukturen leisten würden, in dem sie zum Beispiel die Zerreißprobe der SPD, die zur Zeit gerade von oben weg diskutiert wird, auf die Spitze treiben, und in dem sie die Medienkleisterwerfer zu Statisten machen, hätten die Demonstrationen gerade auch an diesem Wochentag einen wirklich würdigen Sinn.
Da müssen die Bürgerrechtler ebenso wie die 68er vielleicht ein Stück zurück treten, denn es geht einerseits um die Existenz von vielen Millionen von der Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen und andererseits um eine wirkliche Grundweichenstellung, zu der die von ganz Oben zur Zeit offenkundig nicht in der Lage sind.
Lesen Sie auch meinen Artikel vom 17.6.2003 zu der Agenda 2010
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Bettina Röhl über die große soziale Lüge der rot – grünen Regierung
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