Mein Interview mit Dr. Henning Scherf Cicero online
in Berliner Republik
„Gemeinsam in Europa gelandet“
von Bettina Röhl
Cicero Online-Exklusiv: Interview mit dem Bremer Bürgermeister Henning Scherf über die lange und intensive Städtepartnerschaft zwischen Bremen und Danzig, den Beitritt Polens zur EU und das persönliche Verhältnis zwischen den „Bürgermeister-Kollegen“.
Herr Scherf, ist die Städte-Partnerschaft zwischen Bremen und Danzig eine lebendige Beziehung?
Danzig und Bremen verbindet eine sehr lange Geschichte, die mit der Hanse zu tun hat. Es gab Firmen, die in Bremen und in Danzig Werften unterhielten und die Handelsbeziehungen waren oft bedeutend und hielten über Jahrhunderte. Es ist in Polen und auch in einer so exponierten Stadt wie Danzig einfacher sich über eine Freie Hansestadt, wie wir das in Bremen sind, als deutscher Nachbar darzustellen, weil wir eine andere historische Erfahrung vermitteln.
Wie kam Bremen eigentlich zu Danzig und Danzig zu Bremen?
Die Partnerschaft Danzig-Bremen wurde 1976 hoch besetzt von unserem damaligen Bürgermeister Hans Koschnick ins Leben gerufen. Koschnick war zu dieser Zeit stellvertretender Bundesvorsitzender der SPD, also Stellvertreter von Willi Brandt. Zum einen war es die Zeit von Willi Brandts neuer Ostpolitik und zum anderen hatte Koschnick auch ganz persönliche Bindungen. Seine Vorfahren stammen aus dem Kaschubischen, also direkt aus der Nähe von Danzig. Die Polen sagten immer Koschnicka zu ihm und seiner Frau und er wurde dann auch 1985 Ehrenbürger von Danzig. Koschnick hatte eine komplexe Beziehung zu dieser Stadt. Er war Sohn von Kommunisten und über seine katholische Frau hatte er auch einen Kontakt zum Klerus in Polen, sogar zum Erzbischof. Alles in allem muss man also Koschnick als den Bahnbrecher bezeichnen. Bremen ist die erste Städtepartnerschaft überhaupt mit Polen, es gibt keine Ältere. Und Koschnick hat das sowohl in Warschau als auch in Danzig wirklich persönlich durchgesetzt, mit seiner Art zu verhandeln und seiner Art dann darauf auch Wodka zu trinken, Sie müssen das ganz emotional sehen. Und dann haben wir alle, ich auch - ich war damals noch Juso und SPD Landesvorsitzender - in der Bürgerschaft für diese Partnerstadt gestimmt und haben einen Staatsvertrag abgeschlossen, und dasselbe geschah in Danzig. Das war damals noch unter Edward Gierek, dem Generalsekretär des ZK der KP Polens, das war noch richtig kommunistisch. Und dann haben ganz viele mit gezogen, nicht nur die Unternehmer sondern auch die Universitäten, die Jugendorganisationen, die Kulturadressen, Schülergruppen usw. Umgekehrt kamen aus Polen jede Menge polnischer Künstler, Politiker und Studenten.
…und dann kam die Solidarnosc–Zeit?
Ja, Anfang der Achtziger Jahre kamen auch die Solidarnosc–Leute hierher zu uns. Und als es dann 1981 ganz spannend wurde, als Wojciech Jaruzelski den Ausnahmezustand erklärte, an dem Tag war hier zufällig gerade die Solidarnosc–Spitze, die gesamte Streikleitung der Leninwerft, bei uns in Bremen und hat beschlossen, erstmal in Bremen zu bleiben. Die haben hier mit unserer Hilfe das erste auswärtige Büro der in Polen noch verbotenen Solidarnosc aufgemacht. Da hat sich die polnische Regierung beschwert und gesagt: ‚Ihr könnt doch nicht in unsere innenpolitischen Probleme eingreifen.“ Aber wir haben gesagt: „Wieso, wir sind Gastgeber, und das sind unsere Gäste und ihr werdet uns doch nicht dazu bringen unsere Gäste wieder raus zu werfen’. Da hat sich auch bewährt was an anderen Ecken nicht so gelungen ist, dass die Solidarnosc-Bewegung in diese Städtepartnerschaft integriert war und bis heute ist.
Wie haben Sie den EU–Beitritt Polens am 1. Mai 2004 erlebt?
Als jetzt im Mai Polen zur Europäischen Union kam, da bin ich nach Danzig gefahren und wollte das da feiern. Ich schlafe, wenn ich in Danzig bin, immer bei den Pfadfindern und zwar wohne ich dort in einem Eckturm in dem alten Stadttor. Da kann ich von meinem Fenster aus das Goldenen Tor, die Marienkirche und das alte Rathaus sehen. Ich lebe da praktisch in der alten Rechtsstadt, die ja in Danzig die eigentliche Altstadt ist. Dort bin ich also wieder gewesen und weil meine Delegation im Hotel war - wir hatten uns verabredet - bin ich erstmal alleine losgezogen auf den Langen Markt und da war ein Riesenaufzug sehr vieler unterschiedlich, uniformierter Menschen, alles ganz feierlich. Ich habe mich an den Rand gestellt, da kam plötzlich mein Bürgermeisterkollege…
Herr Adamowicz?
Ja, Pawel. Wir duzen uns. Und Pawel rief rüber: Hallo, Henning, und dann sind wir beide zusammen in diesem riesigen Umzug mitgegangen und waren dann bei der Zeremonie dabei - das war nun das Feierlichste vom Feierlichen –die wegen des Beitritts der Polen zur EU vor dem alten nationalpolnischen Denkmal, einer Abbildung des polnischen Königs Jan Sobieski, stattfand. Und da versammelten sich alle, und dann haben wir gemeinsam Kränze nieder gelegt. Da war wirklich alles versammelt, was in Danzig Rang und Namen hat, 3000 Leute. Und Pawel sagte zu mir: ‚Komm, wir gehen in die Marienkirche.’ Ich sagte zu ihm: ‚aber wir haben doch eine Verabredung.’ Aber er sagte: ‚Lass mal, das machen unsere Beamten schon.’ Und dann sind wir zusammen mit allen in die Kirche gegangen und da fand dann richtig ein Hochamt aus Anlass des Beitritts Polens zur EU statt. Und es waren auch so viele Bremer da, so dass wir praktisch beide von links und rechts gegrüßt wurden. Vorne saßen Pawel und ich dann in der ersten Reihe nebeneinander und der Ortspastor grüßte auf Deutsch den Bremer Bürgermeister. Und dann kam der Erzbischof und hielt eine große politische Rede auf Polen, auf die EU und auf die historische Chance. Und hat dabei immer uns, Adamowicz und mich, die Bürgermeister aus Danzig und Bremen als das lebende Beispiel dafür genommen, dass Freundschaften und Verständigung möglich sind und dass wir eben jetzt in Europa gemeinsam gelandet sind. Pawel Adamowicz und ich sind wirklich befreundet, er ist oft in Bremen, seine Frau spricht perfekt deutsch und die beiden haben sogar in Bremen geheiratet.
Wie sieht die Partnerschaft Bremen-Danzig konkret aus?
Wir haben eine sehr große deutsch-polnische Gesellschaft. Es gibt eine eigene Redaktion des polnischen Fernsehens hier in Bremen, drei polnische Vereine und einen 300 Mann starken deutsch-polnischen Chor. Es gibt in Bremen einen Lehrstuhl Polonistik an der Bremer Uni und eine Forschungsstelle Osteuropa mit einem Schwerpunkt Polen. An einigen Bremer Gymnasien bieten wir polnische Leistungskurse an.
Deutsche Schüler lernen polnisch?
Die Polnisch-Leistungskurse werden von Schülern aus hier lebenden polnischen Familien besucht. Unsere Erfahrung ist, dass Leute, die in ihrer eigenen Sprache gut sind, sich dann auch für andere Sprachen und für Deutsch mehr interessieren.
Was kann Bremen für Danzig tun?
Im Rathaus gegenüber vom Arthushof haben wir ein eigenes Kontor direkt am Langen Markt Da organisieren wir Messen, machen Preisverleihungen und unterstützen Unternehmer. Das zielt alles auf diese Fragen: wie können wir denen helfen. Viele Unternehmen aus Bremen haben in Danzig Dependancen gegründet, die sich inzwischen selbstständig gemacht haben und den Bremer Firmen heute sogar schon Konkurrenz machen. Das ist natürlich insgesamt eine positive Entwicklung. Die Leninwerft ist nicht mehr zu retten. Was die Danziger jetzt brauchen, sind junge Unternehmer, die die neuen Chancen bringen und nutzen, aber da sind wir mitten drin.
Was kann Danzig Bremen geben?
Wenn ich mal ganz frech bin: die polnischen Immigranten, die nach Bremen kommen sind nicht die Armutsimmigranten. Es sind die Intellektuellen, die Vitalen, die Zukunftorientierten, die kommen. Die sind auf Qualifikation und Internationalität ausgerichtet und das stärkt uns natürlich.
Wo stehen die deutsch-polnischen Beziehungen insgesamt?
Die Beziehungen werden immer besser. Seit drei Jahren gibt es eine Danziger Vertretung in Brüssel. Unsere neue Hanse Interregio wächst. Danzig gehört dazu, ebenso wie Riga. Bremen hat gute Kontakte im Übrigen zum gesamten Ostseeraum. Wir bauen gerade in Petersburg einen riesigen Containerhafen, Ostluga, 80 km von Petersburg entfernt und die bauen mit uns in Wilhelmshaven.Unsere Konkurrenten sind vor allem Rotterdam und Antwerpen, die werden beide von den Chinesen dominiert. Wir sind mitten drin und wollen einen europäisch orientierten Hafen machen und dies durchaus im Weltmaßstab. Königsberg ist übrigens die Partnerstadt von Bremer Hafen. Sie sehen, wir bauen von hier aus Netzwerke im gesamten Ostseeraum auf, und das ist natürlich ein Beispiel für die sich entwickelnden deutsch– polnischen Beziehungen insgesamt.
Eine ganz andere Frage: Wäre Danzig vielleicht der richtige Ort für die Einrichtung der Stätte der Erinnerung an die Vertreibungen, die im 20. Jahrhundert in Europa stattgefunden haben?
Finde ich spontan richtig. Es geht um das Wie. Deshalb finde ich die europäische Idee, die Sie haben, gut. Auch Lemberg wäre eine solche Idee wert. Eine wirkliche Lösung dieser Thematik würde ich wunderbar finden, warum nicht in Danzig.
Das Interview führte Bettina Röhl
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