Danzig ist ein Phänonem !
Ein Interview mit dem Danziger Bürgermeister Pawel Adamowicz überdie EU – Erweiterung, Deutschland den Spiritus loci in Danzig und die Idee eines europäisches Vertriebenenmahnmahnmal in Gdansk
Fotos und Interview von Bettina Röhl ( Interview erschien im November 2004 in Cicero)
Röhl: Sehr geehrter Herr Adamowicz, wie ist der EU – Beitritt Polens in Danzig angekommen?
Adamowicz: Wer ist skeptisch gegen Europa eingestellt? Einerseits sind es ältere Personen, Rentner, die nach den Erfahrungen des zweiten Weltkrieges vieles aus der historischen Perspektive sehen. Die haben Befürchtungen, dass die Deutschen wieder kommen: die werden uns unsere Grundstücke und Häuser wegnehmen. Es gibt Ängste gegenüber der Preußischen Treuhand. Aber auch unter denen, die eigentlich für die EU – Erweiterung sind, gibt es noch Ressentiments gegenüber Deutschland. Es ist so wie wohl auch in Deutschland: je höher die Ausbildung, je höher das Einkommen, umso mehr ist man für die Europäische Union. Die jungen Leute, die in den großen Städten wohnen, sehen eine Chance in Europa, aber sie sind sich dessen bewusst, dass die Union keine Garantie gibt und, dass wir hier in Polen viel ändern müssen, um wettbewerbsfähig zu werden.
Röhl: Der neue deutsche Bundespräsident Horst Köhler, der im Juli hier in Danzig war, hat das Thema der nach dem 2. Weltkrieg von hier vertriebenen Deutschen angesprochen, aber deren Vermögensansprüchen auf Rückgewehr alten Eigentums eine klare Absage erteilt und sich sehr deutlich zu der historischen deutschen Verantwortung gegenüber den Polen aus der Zeit der NS – Herrschaft bekannt. Sein erster Auslandsbesuch nach seiner Wahl als Bundespräsident hat ihn nach Polen geführt, wie ist dieser Besuch in Danzig aufgenommen worden.
Adamowicz: Diese Ängste der Polen, von denen ich sprach, haben keine feindliche Form und sind kein Ausdruck von Deutschfeindlichkeit, die werden eher als Kritik gegenüber der polnischen Regierung ausgesprochen, als Angst, ob die polnische Regierung die Interessen gut sichern kann. Und alle haben natürlich mit großem Interesse und großer Freude festgestellt, dass der neu gewählte Bundespräsident von Deutschland zuerst nach Warschau und nach Danzig gekommen ist und dann erst nach Paris. Das war eine symbolische Reise. Er hat auch an die Danziger Erklärung angeknüpft, die im letzten Jahr von dem polnischen Präsidenten Aleksander Kwasniewsky und Johannes Rau hier unterzeichnet worden war, die eben diese ganze Problematik betraf. Übrigens ist die Oma meiner Frau in derselben Stadt geboren wie der neue Bundespräsident. Diese Stadt heißt Skierbieszow.
Röhl: Man sagt, Danzig hätte einen freien Geist, der nicht einfach deutsch war oder jetzt polnisch ist, sondern eben der Geist einer alten seit langem selbständigen und auch selbstbewussten Hansestadt ist? In einem neuen polnischen Danzig – Buch steht der Ausdruck „Spiritus loci“. Gibt es den?
Adamowicz: Das ist ein Phänomen ohne Zweifel. Diese Bewegungen der Solidarnosc haben hier ihre Wurzeln nicht in Stettin, Breslau oder Warschau. Es ist ein Freiheitsgeist in Danzig, der sich in einem traditionell tiefen Misstrauen zu den Regierenden ausdrückt, und diesen Freiheitsgeist gibt es in Danzig schon seit vielen Jahrhunderten. Dieser freie Geist zeigt sich auch, wenn wir die Beziehungen zwischen den Danzigern und den Kreuzrittern beobachten oder zwischen Danzig und den preußischen Königen. Im 19. Jahrhundert und 20. Jahrhundert war Danzig eher eine preußische Stadt, es war ein Mikrokosmos und hier haben sich unterschiedliche Nationalitäten, Religionen, Einflüsse getroffen, die sich gegenseitig toleriert haben. Es gab natürlich Konflikte, aber die Toleranz dominiert über dem Kampf. Wenn wir die Danziger Geschichte beobachten, können wir feststellen, dass viele Protestanten, die nicht in ihren Ländern wohnen konnten, hier eine neue Heimat fanden, und das alles in einem katholischen Land mit einem katholischen, polnischen König. Während der religiösen Kriege, die in Westeuropa herrschten hier, konnten die Bildnisse der katholischen Könige und Herren hier neben denen der Protestanten hängen. Damals im 16. Jahrhundert war es ein Manifest der Toleranz.
Röhl: Wie war es seit 1945?
Adamowicz: Nach dem Kriege sind viele Menschen aus Lemberg und Vilnius und aus Mittelpolen nach Danzig gekommen. Am Anfang war diese Stadt für viele noch fremd. Alle gemeinsam haben die Innenstadt wieder aufgebaut und damit auch ein Gefühl für diese Stadt erworben. Nach 1945 wurden in Danzig vor allem die polnischen Wurzeln gesucht. Natürlich hat die kommunistische Regierung diese noch zusätzlich betont und man konnte damals den Eindruck haben, dass in Danzig alle seit Menschheitsgedenken nur polnisch gesprochen hätten und Danzig schon immer eine rein polnische Stadt gewesen sei. Erst in den siebziger und achtziger Jahren hat man ein neues Danzig entdeckt. Es kam die junge Generation, die nach dem Kriege geboren war, die die Geschichte ihrer Heimat, ihres Geburtsortes näher kennen lernen wollte. Man hat viele deutsche Inschriften gefunden, überall stand dort „Danzig“, statt „Gdansk.“ Man hat viele Gegenstände in den Wohnungen, die noch von den alten Bewohnern stammten gefunden mit deutschen Inschriften. Bücher, Bilder oder alte Lebensmitteldosen mit der Aufschrift „Zucker“ oder „Erbsen“. Aus dieser Bewegung heraus ist eine spezielle Literatur, die sich eben mit diesem Phänomenen beschäftigt, entstanden. Zum Beispiel der Roman von Stefan Chwin „Tod in Danzig“ oder die Romane von Paweł Huelle, die eben dieses vielkulturelle Danzig gezeigt haben, dieses Treffen mit den ehemaligen Danzigern, die deutsch sprachen und den neuen Danzigern, die ihrerseits aus ihrer früheren Heimat vertrieben worden waren und hier in Danzig eine neue Heimat gefunden haben. Anfang des Jahres wurde hier über einen Monat lang eine Debatte über einen offiziellen Kalender geführt, in dem alle Ehrenbürger der Stadt Danzig aus allen Perioden erwähnt wurden. Man konnte sehen, dass es eine preußische Zeit gab, eine Kaiserzeit, die Nazizeit und eine kommunistische Ära und unter anderem hatten wir solche „Ehrenbürger“ der Stadt wie Göring und Hitler, die natürlich heute keiner mehr als Ehrenbürger haben will. Wir sind aber der Meinung, dass es richtig ist auf die Geschichte hinzuweisen, und dass wir hier keine Zensur einführen sollten. Ein Abgeordneter aus einer sehr nationalistischen Partei hat dagegen protestiert diese Liste zu veröffentlichen und ich musste mich sogar vor einem Staatsanwalt dazu äußern, dass das keine Werbung für die Nazis ist. Ich muss sagen, dass ich heute sehr stolz auf meine Danziger bin. Ich habe den Eindruck, dass wir doch eine Mehrheit haben, die es so sieht, dass Danzig eine Stadt ist, die in einer historischen Periode aus der deutschen Kultur kam, dabei aber immer loyal gegenüber dem polnischen König war. Die deutschen Danziger haben Steuern bezahlt, die haben für den polnischen König gekämpft und haben sich sogar auch zum Teil als Polen bezeichnet. Diese Danziger in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, haben sich nicht in erster Linie als Deutsche, sondern als Danziger bezeichnet. Dieses Lokale war in Danzig immer sehr stark.
Röhl: Anders als es im offiziösen Bereich den Anschein hat, scheinen die Menschen hier eine ganz überwiegend freundliche Einstellung zu Deutschland haben.
Adamowicz:: Heute akzeptieren wir längst die deutschen Traditionen der Stadt. In Danzig sollten Sie sich auch eine Gedenkstätte der deutschen Friedhöfe, die von den Kommunisten in den den fünfziger und sechziger Jahren zerstört wurden, ansehen. Diese Erinnerungsstätte haben wir im Jahre 2000 eingeweiht, während des ersten Treffens der alten Danziger hier in der Stadt. Wir haben auch einen Gedenkstein mit einer deutsch - polnischen Tafel für die Deutschen, die hier nach 1945 im Gefängnis gestorben sind. Solche Symbole haben wir sehr viele in Danzig. Es sind jetzt gegenwärtige Symbole, die zweisprachig verfasst werden. Seit fünf Jahren treffen sich bei uns wieder die alten deutschen Bruderschaften aus dem Artushof.
Auch der Danziger Bürgermeister Daniel Gralath (1708-1767), der sich dadurch verdient gemacht, dass zu seiner Zeit die Lindenallee entstanden ist, die jetzige Aleja Niepodległości, die Danzig mit Zoppot und Gdenia verbindet, wird seit vier Monaten wieder mit einer Gedenktafel an dieser Straße geehrt, die 1945 entfernt wurde. Im Krieg hieß die Lindenallee übrigens Hitlerallee. Es gibt einige Danziger Schulen, die mit Schulen in Bremen Kontakt haben, denn wir haben schon seit fast dreißig Jahren eine Städte - Partnerschaft mit Bremen. Und wir haben auch wieder Ehrenbürger der Stadt Danzig aus Deutschland, zum Beispiel Richard von Weiszecker, Hans Koschnick und Günther Grass. Vielleicht wissen die Polen mehr über Deutschland, als die Deutschen über Polen, das hängt damit zusammen, dass viele Polen in Deutschland legal und schwarzarbeiten und die Eindrücke sind natürlich persönlich, aber generell sind es positive Eindrücke. Viele Deutsche waren noch nicht in Polen und Danzig und ich hoffe dass nach dem Beitritt das Interesse größer wird. Darauf basiert auch mein Marketing – Optimismus, dass sich die Touristik sehr gut entwickeln kann, es gibt sehr viele, die noch nie in Danzig waren und jetzt müssen wir das Interesse wecken.
Röhl: Gibt es in Polen und speziell in Danzig eigentlich auch so etwas wie Ostalgie? Mein Eindruck ist eher, dass die Polen auf eine gesunde Art nach vorne kucken, nach dem Prinzip: Weg mit Schaden.
Adamowicz: Hier sind die Erinnerungen noch sehr lebendig. 1970 im Dezember sind viele Menschen bei den großen Streiks ums Leben gekommen. Die achtziger Jahre waren sehr heiße Jahren. Ich war zusammen mit meinem Bruder sehr in der damaligen Bewegung engagiert gegen die Kommunisten. Joschka Fischer hat mit Molotowcocktails damals auf der Straße gekämpft und wir haben gegen die Kommunisten gekämpft, eben mit ähnlichen Mitteln wie Joschka Fischer damals. Es gibt eine sehr große Ausstellung, die wir zeigen, die heißt: „Wege der Freiheit“. Es ist eine Ausstellung, wo wir zeigen, was der Kommunismus war, und was der Kampf für die Freiheit war, aber wir planen da jetzt ein noch größeres Zentrum. Ohne Zweifel ist Danzig heute auf den Westen ausgerichtet.
Röhl: Wenn hier in Danzig ein solcher Freiheitsgeist Tradition hat und auch eine polnisch – deutsche Freundschaft hier schon eine lange Geschichte hat, wäre Danzig dann nicht der richtige Ort für ein europäisches Mahnmal zur Erinnerung an die Vertriebenen dieses Kontinents in den letzten hundert Jahren ?
Adamowicz: Ich finde dieses Vertriebenenproblem in ganz Europa des 20. Jahrhundert ist ein wichtiges, ein tatsächliches Problem. In dem Berliner Projekt sehe ich eine schwache Stelle, die auch in Deutschland umstritten ist, weil so ein Zentrum sich nicht nur mit den deutschen Vertriebenen beschäftigen sollte. Es sollte alle vertriebenen Europäer berücksichtigen, erst dann wird es gerecht und klug und erst so wird es die Völker verbinden. Wenn es ein Mahnmal nur für die deutschen Vertriebenen gibt, wird es eine Sache, die trennt. Sie meinen Danzig als Standort, weil hier der zweite Weltkrieg begonnen hat? Das ist richtig, und weil der Krieg zu einer langen Trennung Europas geführt hat, und weil in demselben Danzig die Solidarnosc entstanden ist, ein wichtiges Instrument zur Befreiung vom Kommunismus und der damit verbundenen Überwindung der europäischen Teilung.Dieses Vertriebenenproblem hatten wir auch, nicht nur in Bezug auf die Deutschen, die von hier vertrieben wurde, auch die Polen wurden ja zu großen Teilen vertrieben und sind zu uns nach Danzig gekommen und außerdem sind auch viele Litauer und Bewohner der Stadt Lemberg gekommen.
Mein Vater stammt aus der litauischen Stadt Vilnius, mein Großvater und die Familie meiner Mutter auch. Ich habe dort gewohnt vor einigen Jahren. Wie Sie erzählt haben, stammt ein Teil Ihrer Familie aus Danzig. Sie haben sehr viel von Danzig gehört. So geht es mir auch mit meiner Familie, die aus Vilnius stammt und 1945 nach Danzig kam. Schon wenn mein Vater Vilnius im Fernsehen sieht, muss alles still sitzen und er ist natürlich sauer, wenn man nicht korrekt über Vilnius spricht. Sie und ich haben etwas Gemeinsames. Mein Vater ist nicht mehr ein Anhänger der Grenzänderung, aber ich sage immer zu ihm: kauf Dir doch eine Wohnung in Vilnius. Mein Vater ist schon wütend, dass die Polen Vilna sagen, statt Vilnius. Das ist so ähnlich wie mit Danzig und Gdansk. Es ist heute kein Streitpunkt mehr, wenn einer zu uns kommt und Danzig sagt. Im Flughafen in Hamburg steht auch immer Danzig an den Tafeln. Deshalb finde ich, es steckt etwas in der Idee, die Sie hier ansprechen, dass Danzig ein geeigneter Platz für das Gedenken an die europäische Vertreibung wäre.
Das braune Polen ist die neue Schande Europas. Die Charta der Grundrechten ist für die neuen Denkbarbaren aus dem Osten geschrieben worden.
FREIHEIT.
Kommentiert von: unionsbuerger | 13. Mai 06 um 10:07 Uhr
"Vereintes Europa-Europe United" ist eine intern demokratische Partei. Unser Parteiprogramm wird durch Abstimmungen all unserer Mitglieder angenommen, und ebenso kann es modifiziert werden.
"Vereintes Europa-Europe United" glaubt, dass alle europäischen Staaten (das sind alle Mitgliedsstaaten des Europarats sowie Belarus) im Prinzip um EU-Mitgliedschaft ansuchen dürfen und das Recht haben, sich für die Mitgliedschaft einzusetzen. Allerdings fordern wir, um die demokratischen Grundlagen Europas zu erhalten, dass die Mitgliedschaft nur dann erfolgen kann, wenn das Land die Kopenhagener Kriterien erfüllt und die Mitgliedschaft sowohl in einem EU-weiten Referendum als auch in einem Referendum im fraglichen Land angenommen wird. Vereintes Europa-Europe United nimmt Parteimitglieder aus allen Staaten auf, die gemäß des obigen Textes EU-Mitglieder werden könnten.
Besuchen kann Mann hier: www.europeunited.org
Kommentiert von: kerrygoulde | 29. Mai 06 um 18:59 Uhr