Die Ausstellung in den Berliner KunstWerken kann den Mythos RAF nicht zertrümmern, denn sie lebt von ihm
Von Bettina Röhl
Kunst meets Terror– das ungefähr war die Idee der RAF-Ausstellung, die am kommenden Samstag ihre Pforten öffnen wird. Das ursprüngliche Konzept, 2003, trug den Titel Mythos RAF. Es scheiterte nicht zuletzt an dem früheren RAF-Anwalt Otto Schily und dem früheren Anwalt von Horst Mahler, Bundeskanzler Gerhard Schröder. Sie sorgten damals mit dem Gewicht ihrer Stimme dafür, dass die Ausstellung zumindest mit diesem Titel nicht zu verwirklichen war. Die Argumente der Politiker folgten im Wesentlichen der Bild-Zeitung, in der sich die Hinterbliebenen der RAF-Opfer empört zu Wort gemeldet hatten. Ihrer Meinung nach konnte es nicht angehen, den Tätern mit öffentlichen Geldern eine medienträchtige Show zu widmen, während gleichzeitig der Opfer nicht angemessen gedacht werden sollte.
Wie sieht es heute aus? Inzwischen ist das Finanzloch mit privaten Mitteln gestopft und die öffentliche Förderung auf knapp 50000 Euro begrenzt worden. Der etwas kleinere, nachgeborene Zwillingsbruder des ursprünglichen Konzeptes, nun mit dem Titel Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF-Ausstellung, kann gezeigt werden. Allerdings, wie es scheint, ohne dass etwas aus dem Streit gelernt worden wäre.
Was soll zum Beispiel die alles und zugleich nichts bedeutende Begründung des Ausstellungsprojektes, die der Kurator Felix Ensslin (Sohn von Gudrun Ensslin) in einem Interview der Süddeutschen Zeitung gegeben hat, »…dass es einen breiten politischen Konsens über die Geschichte der RAF gibt: dass einige Wenige in absoluter Selbstüberschätzung und Verblendung Waffen in die Hand genommen und sich zu Richtern über Leben und Tod aufgeworfen haben. Ich sehe keine ernst zu nehmende Diskussion in der Bundesrepublik, auch nicht in der Linken, die das in Frage stellen würde.«
Sollen solche Sätze verhindern, dass frühere RAF-Sympathisanten verschreckt werden? Sollen gleichzeitig die Kritiker beruhigt werden? Der gedankliche Eiertanz kann nicht isoliert betrachtet werden. Schließlich wurden beträchtliche Summen für eine Kunstausstellung aufgewandt, in der es ausschließlich um diese rot fraktionierten Armisten geht, die angeblich »in absoluter Selbstüberschätzung und Verblendung« handelten und von denen jeder weiß, dass sie in den vergangenen dreißig Jahren zu einem Mythos geworden sind. Worüber also will die Ausstellung aufklären? Kann sie überhaupt ein plausibles Interesse an Aufklärung haben?
Wenn Sie ein Strichmännchen malen und darunter »Strichmännchen« schreiben, erfährt dieselbe Figur eine völlig andere Rezeption, als wenn sie zum Beispiel »Jesus« darunter schrieben. Will sagen: Es hat etwas Heuchlerisches, wenn die Aussteller behaupten, mit den Baader-Meinhof-Gestalten zum ersten Mal vorurteilslos und wertfrei umgehen zu wollen, als könnte das gelingen und als handelte es sich nicht um hoffnungslos überfrachtete, schon immer und bis heute mit Bedeutung aufgeladene Figuren.
Wie einst der RAF selber eine kaum noch nachvollziehbare Medienöffentlichkeit gewiss war, so ist seit über dreißig Jahren auch jeder Veranstaltung zum Thema RAF ein vorauseilendes, begleitendes und nachschauendes Medienecho sicher. Andere Aussteller zu anderen Themen, die vielleicht menschheitsrelevanter sind, müssen sich mühsam Sponsoren suchen für kostenträchtige Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Derartiges erledigt sich für die RAF-Aussteller nach dem Scheitern ihres ersten Anlaufes wie von selbst. Die mediale Aufmerksamkeit, die die RAF seinerzeit erfuhr und die jetzt die RAF-Aussteller erfahren, ist für sich schon viele Millionen Euro wert. Der Fernsehmann Felix Küppersbusch äußerte sich zu der Ausstellung vor wenigen Tagen in der taz wie folgt: »Felix Ensslin hat eine kluge vorbereitende Interview-Offensive gestartet. Mit Angehörigen der Opfer wurde im Vorfeld gesprochen. Ich bringe es nicht übers Herz, dies als konstruktiven Beitrag der ersten Bild-Kampagne zu schönen, aber es ist ein hoch erfreulicher Kollateralschaden.«
Eine »Interviewpolitik« überhaupt betreiben zu können setzt allerdings voraus, dass die Medien für Interviews auch Schlange stehen. Dieses Schlangestehen hat allein das Reizthema, haben allein die Reizbuchstaben RAF ausgelöst. Nicht nur die drei Buchstaben Sex sind ein unverwüstlicher Kaufanreiz, auch RAF sells.
Wie weit der klare Verstand bei dem Thema RAF auf der Strecke bleiben kann, beweist der sonst doch eher kontrollierte Küppersbusch. Zunächst stellt er die unzutreffende Behauptung auf, dass die Aussteller diesmal mit den Opfern geredet hätten. Abgesehen von einer vergleichsweise herzlosen Rundfax-Politik und ein paar freundlichen Habe-erhalten-Antworten eines klitzekleinen Teils der Opfer, gab es keine substanzielle Kontaktaufnahme mit den Opfern, deren Anliegen sich in der Ausstellung auch mitnichten zeigen. Dann gerät die Argumentation vollends in eine Schieflage, die auch nicht unbedingt witzig genannt werden kann. Die Bild-Zeitung, die der Witwe des RAF-Opfers Detlef Carsten Rohwedder ihre Stimme geliehen hatte, erscheint bei Küppersbusch zwischen den Zeilen als das Kampagnenblatt, das die erste RAF-Ausstellung verhindert und dabei ungewollt den »hoch erfreulichen Kollateralschaden« erzeugt habe, der in der nunmehrigen Einbeziehung der Opfer in die RAF-Ausstellung bestehe. Die Ermordeten der RAF ein Kollateralschaden? Ist das die öffentliche Wahrnehmung der Opfer?
Wesentlichen Raum nimmt in der Kunstausstellung die Präsentation des Medienechos ein, wie es von 29 mehr oder weniger willkürlich ausgewählten Ereignissen aus der aktiven Zeit der RAF ausgelöst wurde. Die Form dieser Medienschau ist die einer Wandzeitung, die wie einst in Maos Peking im Stehen zu lesen ist. Daneben gibt es ein Medienarchiv (»Handapparat«), wo sich interessierte Ausstellungsbesucher den Durchblick, der durch die Kunstausstellung nicht vermittelt wird, in Form von Filmen, Dokumenten und Büchern hoffentlich verschaffen können.
Und dann ist da noch die Kunst, Bilder, Fotos, Mediencollagen, Filme. Es sind Werke aus dreißig Jahren, die sich im Wesentlichen auf die weithin bekannten Terroristen wie Baader, Meinhof, Ensslin, Raspe beziehen. Hier zeigt sich schnell, dass die RAF-Kunst offenbar bisher nur eine Fortführung der Rezeption der RAF in den Medien war, die wenig Neues, anderes oder auch nur Ergänzendes bringt. Medien werden zerpflückt, Medienbilder vergrößert, vereinzelt, zerschnitten, unkenntlich gemacht, und damit sollen wahrscheinlich, wie die einschlägige Formulierung heißt, Sinn und Wahrnehmung »gebrochen« werden.
Das RAF-»Gütesiegel« auf einem Kunstwerk garantiert Beachtung und Verkauf. Was ist aber nun das RAF-Spezifikum in der gezeigten Kunst, soweit es sich in jedem Einzelfall um Kunst handelt? Gemeinsam ist den Exponaten, dass sie von einer Tat- und Täter-Subkultur handeln, die positive und negative Identifikation ermöglicht oder intendiert und die Täter in positiver oder negativer Hinsicht zu den Ikonen und geilen Typen macht, als die sie eine ganze Generation damals empfunden hat. Dieses historische Hinter-den-Tätern-Herlaufen ist aber genau das, was das Phänomen der RAF eigentlich schon immer ausgemacht hat, viel mehr als die wirkliche RAF, und dies zeigt sich auch in der Kunst und in der Ausstellung. Insofern ist es angebracht, noch einmal auf die Opfer zurückzukommen.
Der historische Zeitstrahl von 1967 bis heute, in den die RAF eingeordnet wird, ist nach Aussage der Aussteller unter anderem auch durch ein Buch aus den achtziger Jahren mit dem Titel Der blinde Fleck inspiriert. Eine gewisse Blindheit ist diesem furchtbaren »Zeitstrahl«, der sogar von Historikern autorisiert worden sei, nicht abzusprechen. Die erschossenen Täter haben Namen, die Opfer nicht. Eine ganz entscheidende Reihe von Straftaten und Handlungen der RAF, von Mordversuchen, Banküberfällen und anderem, taucht nicht im Zeitstrahl auf, sodass gelegentlich der Eindruck entsteht, die Terroristen wurden fast grundlos verhaftet.
Eines der Kernstücke der Ausstellung ist die Bildersammlung Die Toten von Hans-Peter Feldmann, mehr als 90 Fotos von 90 Toten, die der RAF-Terror und die 68er-Bewegung gekostet hat. Unter jedem Foto stehen Name und Datum des Todes, von Rudi Dutschke, Benno Ohnesorg, Hanns Martin Schleyer, Siegfried Buback, Norbert Schmidt, Wilfried Böse und Jonathan Nettanayo, von den Mördern und den Ermordeten gleichermaßen, und natürlich dürfen auch die Ikonen der Baader-Meinhof-Gang nicht fehlen.
Wie auch immer das gemeint ist: De facto werden damit Assoziationsketten in Gang gesetzt, und zwar völlig unterschiedslos, ob durch das Konterfei eines Täters oder das eines Opfers ausgelöst. Aber auch wenn diese Egalisierung von Tätern und Opfern schaurig ist – der Betrachter wird froh sein, auch einmal und ausnahmsweise ein Opfer mit Namen und dazugehörigem Gesicht zu sehen.
Wie man’s auch dreht und wendet, trotz aller anders lautenden Beteuerungen: Diese RAF-Ausstellung ist bei weitem nicht das letzte Wort zur RAF und auch nicht die erhellende Veranstaltung zum oft naiven und bedenkenlosen Umgang der Kunst, der Künstler und der Medien mit den Ikonen der RAF, denen in den Berliner KunstWerken ein weiteres Mal ein Denkmal gesetzt wird. Hier werden Sinnfragen in einer Weise offen gehalten, die zu nichts anderem taugen als zu dem altbekannten Diktum, dass es einen Sinn in Gestalt der RAF gab, der es immer wieder neu wert sei, gesucht zu werden.
(c) DIE ZEIT 27.01.2005 Nr.5
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