Zeit einmal über den südschleswigsche Wählerverband SSW und seine bundespolitische Bedeutung nachzudenken
von Bettina Röhl
Der SSW, ein einmaliges Phänomen in 16 Bundesländern, hat nach dem 20.Februar d.J. eine große Presse bundesweit erhalten, eben wegen der Situation, dass er in der Lage war, eine rot-grüne Minderheitenregierung auf den Thron zu hieven. Dabei wurde auch die Qualität, die rechtliche und moralische Qualität und auch die faktische Qualität der tatsächlichen Stimmen je nach politischem Standort sehr konträr diskutiert. Wer die Wahlgegend des SSW kennt, weiß jedenfalls, dass das Gerede von Frau Spoorendonk von dänisch, Dänemark, dänische Minderheit, dänisch, dänisch, dänisch, nicht immer ganz legitim gewesen ist. Es gibt schon ein paar „Mischehen“ zwischen wahrscheinlich eh schon vermischten Dänen und Deutschen, die seit tausenden von Jahren schließlich ja auch brüderlich und schwesterlich und manchmal deutsch und manchmal dänisch nebeneinander lebten. Es gibt auch ein paar Deutsche, die zwischen quer und querulantisch denkend, SSW wählen, und ein paar dänische Minderheitler, die dies tun, obwohl sie in dem ihnen bekannten Stammbaum gar keinen Dänen mehr vorfinden. Solange die Verfassungswirklichkeit in Schleswig Holstein ist, wie sie ist, und der SSW existiert, sind seine Mandatsträger Mandatsträger wie jeder andere auch, und an der machtpolitischen Taktik des SSW kann damit nichts ausgesetzt werden.
Allerdings: die vor fünfzig Jahren Gesetz gewordene Begründung für die Einführung des SSW und dessen Befreiung von der 5% -Klausel trägt heute, da die Dänen und die Deutschen Gott sei Dank endlich Europäer geworden sind, nur noch in allenfalls abgeschwächter Form.
Längst wird die deutsche Minderheit in Süd-Dänemarks, die es auch nach dem Krieg gab und werden die deutschen Ferienhäuslebesitzer an den dänischen Küsten de facto in Dänemark oft genug nicht besonders europäisch behandelt - durchaus ein Betätigungsfeld für den SSW für Europäisierung auf beiden Seiten der deutsch-dänischen Grenze. Oft genug ist es auch lustig mit anzusehen, wie SSW - Funktionäre besonders dänisch werden, wenn Fernsehkameras auftauchen. Wer einigermaßen die Fakten sprechen lassen möchte, kommt nicht umhin festzustellen, dass die Nummer mit der dänischen Minderheit zum Teil auch eine Farce geworden ist. Es gibt heute sicher sehr viel mehr Türken oder zu Erntezeiten mehr hereingeholte Polen in Schleswig Holstein als Dänen.
Warum kräht die bis dato völlig unbekannte Oberchefin des SSW seit der Landtagswahl so laut? Vielleicht, weil sie ihre Legitimation herbei schreien möchte, mit der sie offenbar selber Probleme hat? Hier soll nicht der SSW in seiner Existenz in Frage gestellt werden, lediglich soll hier die Anregung zur Diskussion begründet werden darüber, welche Existenzberechtigung der SSW heute tatsächlich noch hat. Die Wähler des SSW sind Bundesbürger mit deutschem Pass und Menschen, die sich in Deutschland wohl fühlen. Es handelt sich nicht etwa um dänische Staatsbürger, die sich an einem Ort in Schleswig Holstein „zusammengerottet“ haben. Im Laufe der Geschichte war bekanntlich der dänische König ganz unpolitisch durch bloße Verwandtschaft und Erbfolge gelegentlich auch schon mal Herrscher von Schleswig Holstein. So etwas lief im Norden immer alles relativ zivilisiert ab. Die kleine Herrschaftsclique des SSW scheint dagegen eher auf Abgrenzung und Emotionalisierung zu setzen. Und auch der Verdacht dass es eine ausschießlich taktisch bedingte Kooperation mit Scharfmachern in Dänemark geben könnte, scheint nicht aus der Luft gegriffen. So skandinavisch wie sich der SSW im Jahre 2005 gibt, war er selbst zu Gründungszeiten Anfang der fünfziger Jahre nicht. Da scheinen auch ein paar Funktionäre aus persönlichen Karrieregründen einen pervertierten Minderheitenschutz für sich persönlich zu reklamieren. Hätte es 1955 schon die europäische Union überhaupt und erst recht in ihrer heutigen Ausgestaltung und Dynamik gegeben, kein Mensch in Deutschland oder Dänemark wäre auf den Gedanken gekommen den SSW zu gründen und zu etablieren. Es muss darüber nachgedacht werden, ob die Geschäftsgrundlage für die Implementierung des SSW in Zeiten von Europa antiquiert oder gar europafeindlich ist. Einen gewissen persönlichen Fanatismus strahlt die Herrscherin des SSW jedenfalls aus. Und das wirkt komisch und peinlich besonders wenn man sich ankuckt, was im Baltischen Raum traditionell los ist.
Die weltoffenen Skandinavier sehen Deutschland seit Jahrhunderten als Tor zu Europa und Schleswig Holstein ist für sie fast so etwas wie ein kontinentaler Stützpunkt für die Wirtschafts- und Kulturinteressen, die die nordischen Länder mit Europa verbindet. Umgekehrt ist Schleswig Holstein in gleicher Offenheit seit mehr als 1000 Jahren auf Skandinavien genauso bezogen wie auf Deutschland. Lübeck war das Zentrum der Hanse, die die Städte und Staaten rund um die Ostsee und eben auch Dänemark und Deutschland miteinander und auch Richtung Westeuropa verband. Der SSW kann ernsthaft seine Legitimation nur aus der Förderung dieser Tradition gewinnen, und nicht aus europafeindlichen Spaltungstendenzen und Sonderinteressenverfolgung.
Leider ist aus den Reihen der CDU und der FDP auf unschöne Art am Status des SSW herumgemäkelt worden, weil sich offenbar niemand die Sache genau ansehen mochte. Die Legitimation des SSW ist viel weniger eine Frage wegen der Befreiung von der 5 % Klausel als vielmehr deswegen, weil es mit dem Dänischen über die Jahrzehnte zu hapern begann. Man stelle sich vor, in Köln mit seiner traditionellen Stadtgesellschaft hätte man in den fünfziger Jahren eine Art adenauerische Kölsche Minderheitenpartei zugelassen, was die heute rumstänkern würde, obwohl in Köln immer weniger Kölsche wohnen. Eine Minderheitenpartei schafft eben auch zum Teil erst die Minderheiten, die sie wählen sollen, und wirkt damit auch desintegrativ. All dies mag durchaus bei dem oder der Abweichler / in aus der roten oder grünen Fraktion im Kieler Landtag heute eine Rolle gespielt haben. Natürlich darf man, wenn der SSW gegen die Mehrheit der Abgeordneten im übrigen im Landtag eine Minderheitenregierung macht, nach der Legitimität nicht dieser konkreten SSW- Entscheidung, aber nach dem Existenzgrund und der Existenzberechtigung des SSW überhaupt fragen.
Die Grünen würden diese Frage in der ihnen typischen Diktion so stellen: Wie ethnisch ist die dänische Minderheitenethnie denn wirklich noch? Und wie viel spezifisch dänische Interessen kann es in der Tagespolitik Schleswig Holstein objektiv denn überhaupt noch geben? Wie legitim ist es, dass die Nomen Klatura des SSW die Landesregierung in Schleswig Holstein und damit unter Umständen die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat diktiert und damit unter Umständen bundesdeutsche Geschichte beeinflusst? Ist dies wirklich verfassungskonform? Sind die bundesstaatlichen Regeln des Grundgesetzes wirklich gewahrt, wenn eine Minderheit von 50 000 Personen Republikgeschichte schreiben kann, obwohl die Legitimation für die Existenz der Sonderrechte gerade nicht aus intendierten, bundespolitischen Aspekten herrührt, sondern in Wahrheit aus eher kulturellen Gründen existiert. Nicht einmal die Landespolitik insgesamt ist spezifisch dänisch im Visier der Begründer des SSW gewesen, sondern das Ganze beschränkte sich doch eher auf die Region, in der die dänische Minderheit lebt. Vielleicht gibt uns der/ die mutige Abweichler /in noch die mutige Antwort auf die Frage warum, er / sie sich enthalten hat.
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