Sollte Merkel die Wählerabfuhr akzeptieren und gehen?
Heute ich Kanzler, morgen du Kanzler. Oder zählen wir das an den Knöpfen ab, wer anfängt?
Heute Schröder, morgen Merkel oder doch lieber heute Merkel, morgen Schröder?
Muss das denn eigentlich stupide immer tageweise wechseln oder könnte man das auch lässig locker mal monatsweise, mal wochenweise wechseln lassen?
Aus dem eher konservativen und sich selber für undogmatisch erklärenden Seeheimer Kreis in der SPD kam jetzt ernsthaft der völlig unpraktikable Vorschlag, man möge doch eine große Koalition bilden und die K-Frage dahingehend lösen, dass Merkel und Schröder sich zum Job-Sharing oder besser Kanzlersharing zusammentun. Etwas noch Blöderes hat man kaum gehört, aber in der galoppierenden Verblödung des Zeitgeistes ist so ein Vorschlag schon mal möglich. Oder ist der Vorschlag gar nicht so unpraktikabel und blöd, sondern höchst pragmatisch und genial?
Die Große Koalition soll sich wohl nach dieser Vorstellung auf vier Jahre konstituieren und dies während der ersten Halbzeit unter dem Ist-Kanzler Gerhard Schröder, der dann nach Ablauf von zwei Jahren die Kanzlerkrone Merkel aufsetzen soll.
Da die Große Koalition nach zwei Jahren ohnehin auseinanderbricht, würde es zur Merkelschen Kanzlerei nicht mehr kommen. SPD und Schröder würden dann mit dem Kanzlerbonus und dem ureigenen Meriten einer Großen Koalition in den nächsten vorgezogen Wahlkampf ziehen. Bricht unwahrscheinlichenfalls die Koalition nach zwei Jahren nicht, würde sie jedenfalls zu diesem Zeitpunkt eine Mutation durchlaufen; es würde keine Sachpolitik mehr gemacht werden, schon gar keine Gemeinsame, sondern aus der Koalition heraus würde der ( Lager-) Wahlkampf auf den regulären Wahltermin hin beginnen. Stillstand, Hickhack, Intrige und das Konterkarieren der Leistung des jeweiligen anderen würden zunehmend Platz greifen. Merkel wäre dann in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode die Kanzlerin einer Großen Katastrophe und nicht einer Großen Koalition.
Merkel hat das Kunststück vollbracht die Wählerinnen nicht mobilisieren zu können, sie hat auch das Kunststück vollbracht, die ostdeutschen Wähler nicht zu motivieren und obendrein hat sie auch das noch viel größere Kunststück vollbracht, die enorme Wechselstimmung nicht zu nutzen. Aber dennoch ist sie die Führerin der Fraktion, die eben fast 1 Prozent mehr Stimmen erreichte, als es der SPD gelang. Kein Wunder, dass sie und ihre Partei den Anspruch auf den Chefsessel in der nächsten Bundesregierung erheben.
Da die Gegebenheiten hierzulande für Minderheitenregierungen wenig positiv sind, spielt im Poker um die große Koalition die entscheidende Rolle:
Na, liebe CDU/CSU, welche Alternativen außer der Großen Koalition habt ihr denn noch? Antwort: Eigentlich fast keine, denn die Schwampelei entpuppt sich zunehmend als das, was sie von Anfang an war, eine unselige Idee.
Aber nun sagt umgekehrt, liebe SPD, welche Alternative zur Großen Koalition hättest denn du?
Antwort: Rot-Rot-Grün, zu Beginn völlig ausgeschlossen, da schleicht doch wohl von beiden Seiten im Unterholz langsam etwas aufeinander zu. Haha! Wir von der SPD haben vielleicht doch eine Alternative! Und ob der Westerwelle dann nicht im letzten Moment auch noch umkippt und sich altruistisch anbietet, um Rot-Rot zu verhindern? Wer weiß?
Hat die SPD vielleicht mehr Alternativen in das Poker um die Große Koalition einzubringen, als die CDU, die vielleicht keine Alternative hat?
Die Angst, die einige Politiker und Journalisten geschürt haben, dass eine Große Koalition eine neue APO erzeugen würde, dürfte einigermaßen neben der Sache liegen: Weder gibt es in Deutschland Bedingungen für eine neue APO noch darf man übersehen, dass die Linkspartei bereits im Parlament sitzt. Und man darf auch nicht übersehen, dass jeder kleine Fuzzi heute ein paar Aktien besitzt und sich längst dem Kapitalismus verschrieben hat. Das APO-Gespenst an die Wand zu malen, drückt kaum etwas anderes aus, als den unterschwelligen Wunsch wenigstens durch diese sinnlose Beschwörerei ein bisschen APO-Attitüde zu erzeugen. Außerdem ist Lust am Alarmieren, wie die Chefredakteurin der taz Bascha Mika heute sehr richtig anmahnt, kein guter politischer Ratgeber.
Wenn also Einiges für die Große Koalition spricht, so steht doch fest, dass die Kanzler-Sharing-Idee, die auf den ersten Blick so freundlich wirkt, ein großer Schmarrn ist und auch die Vorteile einer Großen Koalition, den ja auch die bekannten Nachteile entgegenstehen, gerade um die Chancen beraubt, Positives zu bewirken.
In der SPD lockert sich der Kadaver-Gehorsam gegenüber Schröder, den wohl vor allem Müntefering verlangt. In der CDU/CSU scheint sich Merkels Stellung zurzeit zu festigen. Diese hatte zwar 98 % bei ihrer innerparteilichen Wiederwahl erreicht, da war aber sicher eine Menge Selbstenthusiasmierung im Spiel.
Dennoch ist die K-Frage alles andere als entschieden. Noch bleibt richtig, dass das Merkel-Lager bei der Wahl 45 % der Stimmen erreichte, und das Schröder-Lager 51 % der Stimmen errang. So gesehen entscheidet in Wahrheit die waschechte, linksinterne Männerfeindschaft zwischen Schröder und Lafontaine über Sein oder Nichtsein der Großen Koalition und damit auch über das Schicksal einer etwaigen Kanzlerin Merkel.
Über all dies wird seit der Wahl in den Medien im gleichen Spin herumgefuhrwerkt wie vor der Wahl. Auf diese Weise machen die Medien, was hier und da in den Medien (wo denn sonst?) auch bemängelt wird, vergessen, dass es um die Bundesrepublik Deutschland geht und nicht um irgendeine Merkel und irgendeinen Schröder. Politiker dürfen nicht zum Eigenzweck werden, sie sind immer noch die gewählten Vertreter des Volkes und das Volk ist der Souverän.
Wenn es so ist, dass das Volk insgesamt weder Schröder noch Merkel wollte, dann wäre das Volk natürlich nicht gut beraten, wenn es sich selber zum passiven Erdulder eines egomanisch geführten Gladiatorenkampfes machte.
Wenn eine Wechselstimmung im Volk darin bestand, dass viele Wähler zwar eine konservativere Politik wollten, aber kein Vertrauen und keine Lust zu/ auf Merkel hatten und haben - was immerhin nicht ganz unwahrscheinlich scheint - wäre soviel Größe von Merkel, die ihre Chance ja hatte, zu erwarten, dass sie angesichts ihres eigentlich desaströsen Ergebnisses freiwillig die Bühne für einen anderen in der CDU räumt.
Der Vorschlag soll hier wiederholt werden, eine Große Koalition zu machen, von vorne herein zeitlich begrenzt. Alles, was eine Große Koalition Positives vermag, kann sie ohnehin nur, wie oben ausgeführt, in der Startphase leisten und der Demokratieverlust, den eine Große Koalition zwangsläufig bedeutet, hielte sich durch zeitliche Begrenzung eben auch seinerseits in Grenzen.
Diese Große Koalition sollte sich an den Sachfragen orientiert bilden und gründen und nicht an den persönlichen Interessen von zwei Kanzlerkandidaten, denen immerhin das gemein ist, dass sie beide keinen glanzvollen Sieg bei der vergangenen Wahl für sich verbuchen konnten
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