Das TV-Duell vom 4.9.05
Kanzlerkandidat versus Kanzlerkandidatin
Im Frühsommer d.J. saß der Schock bei Bundeskanzler Gerhard Schröder tief. Das größte Bundesland Nordrheinwestfalen war an die Schwarz-Gelben gefallen, ein rot-grünes, aber doch lokales Desaster. Schröder mag sich gedacht haben, besser ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Er warf das Zepter des Regierungschefs in die Luft und verordnete dem Land Neuwahlen auf den 18.September 2005.
Gestern fand das, wie es in den Medien heißt, „einzige Fernsehduell“ der Kanzlerkandidaten statt. Um es ungeschminkt vorweg zu nehmen: Doll war das Ereignis nicht. Politisch uninteressant. Alte Phrasen wieder und wiederkäuend konnten keine Spannung erzeugen, und auch die Kandidaten persönlich konnten kaum jemanden vom Hocker reißen.
Es ist richtig, dass es ein Medienereignis war, und so sind es auch die Medien, die im Wesentlichen ein Ereignis gemacht haben und dafür, um die Spannung zu erhöhen, einen noch Regierungschef und eine zukünftige Regierungschefin als Gladiatoren aufeinander hetzten und auch noch so taten, als ginge es um politische Entscheidung und Macht, als wollten die Kandidaten das Ganze und als erfüllten die Medien selber einen besonders hehren Informationsauftrag. Die Spindoktors beider Seiten und die Medien sind aktiv und in ihrem Element. Die Kandidaten, immerhin um das Amt des Bundeskanzlers / der Bundeskanzlerin bemüht, der/ die dieses Land die nächsten vier Jahre regieren soll, konnten in diesem Theater mitnichten beweisen, dass sie überhaupt über solche herausragenden Qualitäten verfügen, dass sie dieses Land seriöserweise regieren können.
Von Argumenten kaum eine wirkliche Spur. Woher einige Kommentatoren der Veranstaltung die Chuzpe nehmen zu behaupten, dass es hie und da Argumente gegeben hätte, die diese Qualifikation verdienen, erschließt sich aus der gebotenen Sache nicht. Auch die Fakten blieben, wenn sie überhaupt eine Rolle spielten, weich wie warmer Honig. Weder die artifiziell hochgespielte Person Kirchhoff noch der ebenso artifiziell hochgespielte Merkelsche Ehrlichkeitsbeweis in Gestalt einer Mehrwertsteuererhöhung, noch die Türkei-Frage, noch die Rentenfrage, noch die Gesundheitsfrage, noch gar politische Grundfragen erhielten in dieser Debatte irgendeine wirkliche Relevanz. Das ganze war keine Medienabbildung politischen Geschehens, sondern Politik musste für Medienklamauk herhalten.
90 Minuten Plattitüden und zwei Personen, die jeder genau mit den Textbausteinen, die in diesem Gladiatorenkampf als Sprechblasen von den Kontrahenten produziert wurden, schon viele Male Morgens, Mittag, Abends oder Nachts im Fernsehen gesehen hat. Und doch gab es Einiges Unfreiwilliges, dass das Duell sehenswert machte.
Die, wie Alice Schwarzer es ausdrückte, in den letzten sieben Jahren mainstreamig voll auf Rot-Grün getrimmten Medienmacher konnten von ihrer Rezeptionsroutine noch nicht ganz lassen und wiederholten allzu häufig, dass Schröder ein Medienkanzler, ein Medienprofi, ein Medienfavorit und auch ein Favorit für das Duell war. Und erklärten ihn mit Assistenz von eilfertigen Demoskopen zum Sieger der Veranstaltung und Merkel zur Verliererin, allerdings mit einem deutlichen Aufholerfolg gegenüber den allerdings geringen Erwartungen, die in sie gesetzt worden seien.
Was war nun gleichwohl interessant an der Veranstaltung?
Obwohl die Unsitte herrscht, dass man den Amtsinhaber, der in Bezug auf die nächste Legislaturperiode auch nur ein Kanzlerkandidat ist, ständig als Bundeskanzler bezeichnet und die Kandidatin Merkel als Herausforderin des Bundeskanzlers präsentiert, hat Schröder den Bonus des Amtsinhabers nach dem Wurf seines Herrschaftszepters im Mai d.J. in die Luft nicht in dieses Duell einbringen können.
Es wirkt aufgrund der permanent medialisierten, allgegenwärtigen Wahlprognosen längst so – und dieser Eindruck bestätigte sich in dem Duell zwischen den Zeilen auf eine durchaus manifeste Art und Weise – als sei Schröder der Herausforderer von Merkel, als sei Schröder Opposition und als sei Merkel längst Kanzlerin und Regierung. Schröders Angriffe auf Kirchhoff wirkten wie die Angriffe eines Oppositionsführers auf einen amtieren Minister, den er für die Haushaltsmisere seiner eigenen Noch-Regierung verantwortlich machen wollte. Schröder hatte die Aura des Siegers und Amtsinhabers verlassen, er konnte eher mit dem Charme und der Sympathie des Geschlagenen punkten, dem es intensiv darum zu gehen schien, seine eigene Vergangenheit respektive die seiner Regierung zu vergolden und einen gekonnten, selbstbestimmten Abgang hinzukriegen, wohl in der unterbewussten Annahme, dass darin die einzige Restchance für ein Wunder namens Wiederwahl von Rot-Grün liegen könnte. Auch der vielbeschriebene Schweißfleck im Kostüm der Angela Merkel war inzwischen zu Gerhard Schröder gewandert, auf dessen Gesicht ein Schweißtröpfchen zu sehen war. Die Nerven liegen eben bei aller gespielten Ruhe doch einigermaßen blank.
Merkel hatte die CDU geschafft, ob sie auch Kanzlerin geworden wäre, steht in den Sternen. Aber da kam ihr Gerhard Schröder nach der NRW-Wahl zu Hilfe und warf ihr eben die Staffel der Macht förmlich in den Schoß. Insofern muss man fairerweise wohl konstatieren, dass Merkel bereits zum Teil auch mit der Kritik gesehen und gedeutet wurde, die ein Amtsinhaber auf sich ziehen kann, was für Merkel besonders erschwerend war, da sie als Kanzlerin oder auch nur Regierungschefin in einem Bundesland, noch keinerlei Erfolge vorweisen kann. Sie war schlicht noch nie Ministerpräsidentin.
Es ist eine Definitionsfrage, ob Schröder etwas gewonnen oder ob er etwas verloren hat. Er war in Wahrheit der Herausforderer und läuft kurz vor dem Wahltag einem nicht unerheblichen Abstand hinterher. Wollte er die Wahlen mit diesem TV-Event herumreißen, hätte er fast Unmenschliches an Geist, Charme und Sympathie leisten müssen, und er hätte dynamisch und kämpferisch die selber weggeworfene Staffel mit festem Griff zurückholen müssen. Dieses vielleicht von einigen Basisroten oder Basisgrünen erhoffte Wunder fand gestern nicht statt. Insofern war Schröder, selbst dann, wenn man ihm einen hauchdünnen Punktsieg zuerkennen wollte, der Verlierer.
Die Schwarz-Gelben haben gute Aussichten und Merkel brauchte das Duell lediglich ohne eklatante Patzer zu überstehen. Das ist ihr gelungen und es war auch zu erwarten, dass ihr dies gelingt.
Schröder eröffnete den Reigen der Missachtung des Wählers, in dem er sich schon jetzt vor der Entscheidung des Souveräns zum Wahlsieger erklärte, was ihn später nicht daran hinderte Merkel Wählermissachtung Merkel Wählermissachtung vorzuwerfen, als Merkel betonte, dass Schröder bereits ein Has-Been sei. Schade, dass das Duell so flach und deswegen in der Sache so wenig spannend war, da war das Duell zwischen Paul Kirchhoff und Hand Eichel vor wenigen Tagen bei Berlin Mitte schon wesentlich substanzieller und auch mit mehr Herzblut von beiden Seiten geführt worden. Schröder und Merkel haben beide auf ihre Art persönlich gewonnen. Merkel kam ihrem Ziel die nächste Regierungschefin zu sein einen Schritt näher und Schröder sammelte persönliche Sympathiepunkte für den zukünftigen Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, der jedenfalls aus einer Notlage einen bravourösen und sehr achtenswerten Abgang schafft. Nach diesem Duell wird Rot-Grün am 18.September, wenn nicht etwas völlig Unvorhergesehenes geschieht, ins Museum geschickt werden. Schröder hat auf jeden Fall Größe gezeigt.
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