Wieso eigentlich Bitburg? Die eigentliche historische Analogie aus der Nachkriegsgeschichte, die heranzuziehen wäre, um den Fall Grass zu beurteilen, ist der Casus des ehemaligen Uno-Generalsekretärs und österreichischen Bundespräsidenten Kurt Waldheim. Der hatte das Lebenspech, wie Grass es jetzt selber zum Ausdruck bringt, zehn Jahre älter zu sein als Grass und folglich in der Nazizeit länger und hochrangiger Kriegsdienst geleistet zu haben.
Eine ganze politisch-mediale Industrie bemühte sich seinerzeit Waldheim Kriegsverbrechen nachzuweisen, was am Ende selbst historischen Kommissionen, die angetreten waren, ihn zu Fall zu bringen, misslang. Was Waldheim bis heute zu Recht vorgeworfen wird, ist, daß er seine Biographie im zweiten Weltkrieg nicht offen gelegt hat und bei der Aufklärung und Bewertung auch recht wenig kooperativ war.
Grass, als die intellektuelle, literarische, moralische Krone des sogenannten linken Lagers, in das er sich von der ursprünglich konservativen Gruppe 47 in den sechziger Jahren hineingehäutet hatte, Grass als der Pate des Literaturbetriebes, Grass als SPD-Wahlkampfmaschine hatte ebensoviel Grund sich zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen SS zu bekennen. Jetzt hat Grass das ganze linke Lager durch sein bereits wieder einmal finanzielle Früchte tragendes Bekenntnis schwer beschädigt.
Es handelt sich um einen eklatanten Sündenfall des Günter Grass. Was er nun genau als 17.jähriger tat, erlebte, und ob seine Einlassungen auf keinen Feind geschossen und sich nicht freiwillig bei der Waffen SS gemeldet zu haben, der Wahrheit entsprechen, ist aus dem von Grass aus dem Fernöstlichen plagiierten Zwiebelsymbol und seinem tümelnden und pendelnden Bernstein, hinter denen er sich jetzt verschanzt, nicht schlüssig heraus zu lesen. Grass behandelt die Waffen SS wie eine literarische Befindlichkeit, stattdessen hätte er Zeitzeugen und Archive studieren müssen. Es zeigt sich, daß die intellektuelle Struktur in diesem Land bisher unfähig ist, ein eben jetzt im klassisch linken Lager verortetes moralisches Versagen ( zu dem auch Grass’ geldgieriger Hinweis gehört, daß jetzt alle alles in seinem Buch nachlesen sollen, in dem allerdings nichts Werthaltiges steht) adequat zu benennen und vorallem Konsequenzen zu ziehen. Während Waldheim ein 40.jähriges Schweigen zur Last gelegt wurde, macht sich Grass als politisch routiniert Irrlichtender eines 60.jährigen Verschleierns schuldig.
Zwei gute Dinge könnte Grass mit seinem späten Outing bewirkt haben: 1.könnte auch bei denen, die behaupten, Grass hätte allenfalls seine Person, nicht aber sein Werk beschädigt, ein befreiter Blick auf das Grasswerk eröffnet werden 2. könnte Grass’ Beispiel einen Markus Wolf, einen Fidel Castro und andere Geheimnisträger dazu bewegen ebenfalls auszupacken und historische Wissenslücken zu schließen. Grass sollte nun auch erklären, welche Bedeutung der Tatsache zukommt, daß die DDR-Führung offenbar seit langem Kenntnis von seiner Waffen SS-Vergangenheit hatte. So wichtig ist Grass nun mal, daß es hier nicht um seine Privatsache geht, als die er es in seinem Buch immer noch behandelt.
Der Grass ist der Idealtypus des bigotten Moralapostels. Mir war dieser Mann mit seiner bombastischen Moralkeule seit jeher suspekt.
Kein Mensch hätte ihm seine Mitgliedschaft bei der SS - als junger und unerfahrener Mensch - nachgetragen, wenn er es erstens nicht verschwiegen und zweitens seine Moralkeule nicht andauernd ausgepackt hätte.
Grass hat sich sozusagen als Jesus für linke Säkularisten angeboten. Seine Moralität war dermassen dick und klebrig aufgetragen, dass der Verdacht der Scheinheiligkeit sich geradezu aufdrängte.
Kommentiert von: Peter Bosshard | 24. September 08 um 13:36 Uhr