Das erste TEMPO-Heft erschien im Januar 1986,im Juni 2004 habe ich meine Geschichte über die Zeitschrift TEMPO, die nur zehn Jahre alt wurde, in "Dummy" veröffentlicht.
Jetzt wird wieder TEMPO gemacht... Ein Comeback? Anfang Dezember soll ein neues TEMPO-Heft erscheinen.Hier finden Sie jetzt den ganzen Text aus Dummy in einer etwas längeren Version und in Bildformaten auch die Geschichte, so wie sie in Dummy veröffentlicht wurde.
„Erst Galeere, dann Palmenstrand“
Meine Erinnerungen
Bettina Röhl
Redaktion TEMPO 1986 vor der Redaktion am Harvestehuder Weg
von 2004
Anfang der 80er Jahre war die Stimmung in den geisteswissenschaftlichen Fächern an der Universität in Hamburg verheerend. Es war wie nach einem Krieg. Das geistige Loch, das die Polit-Randale der 60er und 70er gerissen hatten, war allgegenwärtig. Die geduldigen Wände nach wie vor mit Zetteln zugepflastert und die Fahrstühle mit abgestandenem Parolen bekritzelt - das konnte es eigentlich nicht sein. Die Professoren mit resignierten, unrasierten Gesichtern begrüßten uns Erstsemester 1983: Welch ungeheure Zeit haben wir doch hinter uns, welch fantastische Ereignisse tobten hier, wo Ihr Jüngeren jetzt angepasst herumsitzt. Mit Euch scheint kaum was los zu sein. Was wir, so ungefähr, eigentlich hier noch wollten. Die Universität war eine geistige Leiche, neue Impulse mussten von woanders kommen. Frage: woher?
Rundruf unter den ehemaligen TEMPO-Redakteuren in Dummy, 2004
Manchmal furchterregend war die individualisierende Leere der coolen Studenten. Ein Germanistikkommilitone vertrat die Auffassung „weg mit den Büchern„, nur noch Videos, Videos, Videos. Ein anderer propagierte, Bücher lesen sei Schwachsinn, antiquiert und was in Büchern stünde, liefe immer auf irgendeine überkommene Moral hinaus. Entweder auf die der letzten 2000 Jahre oder der letzten 20. Beides passé. Die Gruppe um die Stadtzeitschrift „Szene„ bildete in Hamburg so etwas wie eine kleine Post-68er-Avantgarde. Sie machten Kurzfilme, deren Botschaft die Abwesenheit einer Botschaft war, und sendeten „Schön ist die Welt„ im Kabelfernsehen. Sie seien „gierig auf Film„, sagten sie, und prophezeiten eine Gesellschaft, in der alles hip und cool und voller Film sein würde.
Gegen das Wort „Diskutieren„ hatte man eine Aversion, Wohngemeinschaften - ein Gräuel, Beziehungskisten - schrecklich. Man schwärmte davon, in die Werbung zu gehen und viel Geld zu machen. Oberflächlich? Quatsch, mit Werbung verdiente man Kohle und mit Kohle konnte man kreativ sein, ohne sich vermarkten zu müssen. War man mit dieser Haltung etwa konservativ? Blödsinn, wieso begriffen die Laberpötte der älteren Generationen nicht, dass man Designerwohnzimmer haben und trotzdem seinen Müll trennen konnte? Unpolitisch? Unsinn, man sympathisierte ja mit der Hafenstraße, mit den neuen Autonomen, die allerdings jetzt auch cooler waren als ihre Vorgänger in den 70ern, wozu darüber Worte verlieren, die Älteren verstanden es ja doch nicht. Schluss mit allen Ideologien, Schluss mit rechts und links.
(TEMPO-Redakteure 1987, fotografiert von Paul Schirnhofer.)
Die 80er Jahre brachten eine neue Haltung und einen neuen Szenetyp hervor, der eine Mischung aus Yuppie, Popper, Pop und Punk war. Das Zauberwort war Qualität. Man wollte entideologisierte Qualität bringen. Nicht Revolution, Esoterik, Gurus zogen an, sondern japanische Tugenden, Fleiß, Kampfgeist, Schweigsamkeit,
Funktionieren. Japans Wirtschaft war das Medien-Thema, Tokio das Traumziel der Modemacher. Man trug Yamamoto. Lange Mäntel, flache Schuhe und für die Frauen kurze Haare, forscher Schritt, wacher Blick in einem unbeweglichen Gesicht, das alles war Kult.
In „Szene„ behauptete der Pop-Journalist Dietrich Dietrichsen, das frische Blut dieser neuen Bewegung komme nicht aus den feinen Elbvororten oder den Speckgürteln der Stadt, sondern aus dem Proletariat. Um dies zu beweisen, trug er abends in den damals einschlägigen Läden „Kir„ oder „Subito„ schonmal ein T-Shirt, das mit echtem Blut bekleckert war, das sollte explizit keinen Sinn haben, aber irre cool sein. Dietrich täuschte sich. Die Frischzellenkur kam weder aus Barmbek noch Blankenese. Sie kam - ein Faustschlag für Hamburgs Szene - aus Wien. Im Herbst 1985 wurde ein neues Magazin im Jahreszeiten-Verlag vorbereitet. Dessen Inhaber Thomas Ganske hatte die Macher des berühmt-berüchtigten Stadtmagazins „Wiener„ eingekauft und an die Elbe geholt.
Im Januar 1986 - das erste TEMPO-Heft mit einigen Blaublütern auf dem Titel war gerade erschienen - stellte ich mich bei TEMPO vor und nahm wenige Tage später erstmals an einer Montags-Konferenz teil. Die fand zu meiner Freude nicht in der Redaktion, sondern im schicken Café „Schöne Aussichten„ statt. Ich war in die Gründerzeitvilla im vornehmen Harvestehuderweg gefahren, von Konsulaten umgegeben, zu den Redaktionsräumen, die ich für meinen neuen Arbeitsplatz hielt und wo eine lachende Sekretärin mich zum Dienstantritt ins Café schickte. Für TEMPO war dort allmontäglich ein separierter Teil reserviert. Die Crew saß um einen großen Frühstückstisch herum, feixend und lachend. In der Mitte der sich ironisierend und mit angespitzter Intellektualisiererei die Bälle zuwerfenden Redakteure saß in seinem unvermeidlichen Edel-Strickpullover verhalten grinsend der junge Chefredakteur Markus Peichl.
(Markus Peichl und andere Redakteure und Mitarbeiter von TEMPO, 1986)
Hier endlich spielte die Musik, die an der Uni verklungen war, hier war der Spaß, den ich vermisste, und hier herrschte auch nicht die Verbissenheit der Hamburger Szene, die möglicherweise grundsätzlich etwas Ähnliches wie TEMPO wollte, aber sich gegen die gelassene Wiener Fraktion wie eine K-Gruppe ausnahm. Man redete über erschienene und entstehende Geschichten, über Wackersdorf, wo einer hinfahren sollte, den Wahn des irischen Bürgerkrieges, den einer beschreiben sollte, über Helge Timmerbergs „Prinzengeschichte„ im letzten Heft und wie die angekommen sei, und die nächsten Geschichten über junge Millionäre „Dagoberts Enkel“ „Beziehungshyänen„ oder „Die Witwen von Palermo„ Die TEMPO-Redakteure waren im Schnitt gut Mitte 20 und kamen entgegen dem gängigen Vorurteil, TEMPO beschäftige nur Yuppies, eher aus linken Medien - von „konkret„, „taz„, „Pflasterstand„. Doch um links oder rechts ging es hier nicht mehr. Auf dem Zettel, den die Redaktionssekretärin verteilt hatte, stand unten das Motto des Tages: „Erst Galeere, dann Palmenstrand. Euer Markus.„
Mein spontanes Gefühl: Diese Konferenz, bei der uns Salat mit erlesenen Krabben und sonstigen Schalentieren und echter geräucherter norwegischer Flusslachs mit frischem O-Saft, Kaffee, Tee und was man sonst wollte, vorgesetzt wurde, war also die Galeere. Wie sah der Palmenstrand aus? In der Redaktion gabs Cola satt, das hatte Peichl vom „Wiener„ mitgebracht. Cola war natürlich irgendwie auch Programm.
„Als wir mit TEMPO begannen„, so Peichl heute, „hatten wir erstmal Feinde aus drei Richtungen und damit eigentlich alle gegen uns: Die ‘normalen’ Verlage, weil das, was wir machten, viel zu laut, zu bunt, zu provokativ war. Die wertkonservativen Journalisten neuen Typs, also die 68er in den Feuilletons, weil wir einer jüngeren Generation angehörten, die eine eigene Welt und eigene Werte setzen wollte. Und die Underground-Szene. Die hasste TEMPO, weils Geld vom Verlag gab. Sie warfen uns neidisch vor, wir würden die Ideen unserer Generation verkaufen und verraten.„ Wir sahen das lockerer. Wie befürchteten keinen ideellen Schaden, nur weil ein Thema bei TEMPO, zumeist sehr gut recherchiert und eigenwillig beschrieben, veröffentlicht wurde. Ein paar Jahre später versöhnte sich die vergrätzte Hamburger Szene, die zu „Spex„ und „Sound„ abgewandert war, mit uns. Einer aus der Clique, Olaf Marx, wurde TEMPO-Redakteur. Die Undergrounds der 80er Jahre, verkündete der Schriftsteller Rainald Goetz 1988, erkannten TEMPO nun als einzig ernsthafte Plattform für die jüngere Generation an.
Auch in meinem Umkreis sah man TEMPO mit Hass. Ein Kölner Freund schrieb in einem zehnseitigen Brief: sofort bei diesen Idioten aufzuhören! Ein Freund aus Berlin riet, bei einer seriösen Tageszeitung ein Praktikum zu machen, wie er selber es gerade tat, TEMPO sei einfach widerlich. Es ekelte ihn an. Ob ich die letzte Headline gelesen hätte: „Ficken Dumme besser?„ Ein Bekannter aus meinem langjährigen Hamburger Szene - Freundeskreis erklärte auf einer Party mit kritischem Blick, mit TEMPO könne ich nicht hoffen, weiter zu ihnen zu gehören. So reagierten die Typen aus der Feine-Pinkel-Szene vom Hamburger Christianeum um, mit denen ich jahrelang die Schulbank gedrückt hatte. Heute sind sie mit Peichl & Co. längst bestens befreundet.
Vor allem die so genannten etablierten Medien schossen in der Anfangsphase aus allen Rohren. TEMPO sei ein „Spielzeug für die infantile Gesellschaft, hetzte die „Zeit„, „Keine Zeit für Geist„ tönte die FAZ, allgemein beklagte man, TEMPO sei unpolitisch, inhaltsleer und viel zu narzisstisch.
Witzig war, wie sich Journalisten benahmen, die von außen zu uns in die Redaktion kamen, um über uns zu berichten. Einem grauhaariger NDR-Journalisten, der mit einem Kamerateam amkam, war die Verunsicherung anzumerken. Die Angst, dass ihm die platinblonde Connie, die stumm an ihren Layouts klebte, ein „Ey bist du uncool„ zurufen würde oder ein „Iiihh ist Dein Anzug spießig„, was nicht passierte, aber für einen Außenstehenden in der Luft zu liegen schien. Vor Aufregung bekam er seine „Zeitgeist„-Fragen nur noch leicht radebrechend über die Lippen. TEMPO, das spürte ich in diesen Momenten, machte den Etablierten Angst, auch den 68ern, sie fühlten sich plötzlich unmodern und überholt.
Während der Alsterpark vor unserer Haustür im Frühjahr 1986 erblühte, die Alster in der Sonne blau glitzerte und die Schickis draußen ihre Rassehunde spazieren führten, interviewte ich für meine erste TEMPO-Geschichte 100 Demonstranten, die in den letzten Jahren von der Polizei eins aufs Maul gekriegt hatten, wie man bei TEMPO durchaus formulierte. Interviewte den Theaterregisseur George Tabori zu seiner Begegnung mit Marilyn Monroe, musste eine ganze Modeproduktion mit jungen Szeneleuten aus der Provinz leiten und hörte artig dem heutigen Zukunftsforscher
Matthias Horx, einem ehemaligen Sponti aus der Frankfurter Szene, zu, wie er über die 70er und 80er Jahre sowie die zugehörigen Ideologien dozierte.
Im Mai stand Markus wegen eines getürkten Leserbriefs - „inhaltlich angespitzt„, wie es bei TEMPO hieß - den er gegen einen abtrünnigen Autoren veranlasst hatte, und wegen einer infolge von Lügen und Intrigen entstandenen falschen eidesstattlichen Versicherung mitten im Zenit seiner TEMPO-Karriere kurzzeitig auf der Kippe. „Spiegel„ & Co. bohrten nach. Selbst in der Redaktion gabs Zweifel. Doch Ganske stand zu Markus und TEMPO. Peichl hatte zu dieser Zeit gerade für einen Artikel in der eigentlich unveröffentlichten TEMPO-Null-Nummer den Kischpreis bekommen - Titel: „Über einen der sitzt„ (im Rollstuhl). Nach diesen anfänglichen Turbulenzen galt Markus im Sommer 1986 endgültig als genialischer Blattmacher und als einer, der von morgens bis abends in der Redaktion fleißig verbissen, ja fast fanatisch an seinen Texten saß.
„Markus war von allen TEMPO-Chefs der durchsetzungsstärkste„, sagt Liane Uecker, langjährige Chefin vom Dienst. Sie muss es wissen, denn sie hat alle Chefredakteure kennen gelernt und eng mit ihnen zusammen gearbeitet: Peichl, Jürgen Fischer, Lucas Koch,
Walter Mayer und Michael Jürgs. Markus setzte nicht nur Maßstäbe im Heft, die schrillsten Bilder, die heftigsten Geschichten, sondern machte Politik neben Lifestyle und Kulturthemen zum TEMPO-Standard: etwa mit dem großen Wehner-Interview in Heft zwei, oder mit Maxim Billers großem kritischen Bericht „Der Heilige„ über den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
In meinen ersten Monaten bei TEMPO war Tschernobyl ein großes Thema, dem fast eine ganze Ausgabe gewidmet wurde, dann beteiligten wir uns an einer Pro-Ausländerkampagne und fotografierten und interviewten Ausländer, die in Deutschland leben, und die Deutschland braucht. Maxim Biller fuhr mit ehemaligen KZ-Überlebenden nach Auschwitz und berichtete über einen Besuch in seiner Heimatstadt Prag. Peter Glaser erzählte in seinen Kolumnen von der schönen neuen Computer-Welt. Helge Timmerberg, der schon für „stern„, „Twen„ und „Geo„ geschrieben hatte, war mit 35 unser Methusalix, der weicheste Schreiber von allen, ein guter Hippie, der sich mit ein wenig 80er Jahre-Flair hervorragend eingefügt hatte. Irgendwann kam Peichl an meinem Redaktionstisch und sagte, ich habe Dein Praktikum in ein Volontariat umwandeln lassen, du bist doch einverstanden?
Markus war nicht nur der autoritärste Chefredakteur, sondern auch der akribischste - und auch der mit den meisten Ticks. Sämtliche Texte landeten in seinem Chefzimmer, wurden unermüdlich redigiert und gelegentlich neu geschrieben. Die beiden CvDs Oliver Herrgesell und Liane Uecker, die, später unterstützt von Verlagsleiter und Verleger und ganzen Drohkolonnen aus dem Verlag, wahlweise mit stalinistischem Drängen, gelegentlichem Brüllen oder Engelszungen Peichl drängten, die Texte, die sich bei ihm stapelten, endlich für die Grafik und damit zum Satz frei zu geben, kämpften oft gegen Windmühlen. TEMPO erschien regelmäßig verspätet. Peichl heute: „Stimmt. Aber ist doch auch gut für den TEMPO-Mythos und die Verkaufszahlen waren hervorragend.„
Markus’ selbstquälerischer Perfektionismus war nicht immer leicht zu ertragen. Die Redaktion machte einen Wandel durch, der Tonfall wurde karger, es wurde weniger gelacht, weniger offen gescherzt als schweigsam der Arbeit nachgegangen. Im Laufe des Jahres 1987 gewöhnte man sich bei TEMPO an, überflüssige Grußformeln ganz weg zu lassen, man blaffte sich an. Redakteure, die neu hinzukamen oder zu Besuch reinschneiten, wunderten sich manchmal. „Grüßt ihr Euch hier nicht?„
Lucas Koch, stellvertretender Chefredakteur und rechte Hand von Markus, kannte ohnehin keine Arbeitszeiten. Er war wie Markus einfach immer da. Urlaub, sagte er trocken, vergesse er meistens. Wochenenden gäbe es nicht. Das Klima wurde im Laufe dieses Jahres hart, unfreundlich. Trotz des Rufes, eine Szenezeitung mit wilden Partys, Flirts und viel Sex zu sein, herrschte in der Redaktion ein fast zölibatäres Klima. Wer die dunkelsten Ringe unter den Augen hatte, wer als letzter nachts nach Hause gegangen und als erster wieder morgens in der Redaktion war, lag richtig. Es war ein wenig die Stimmung einer fanatischen Zen-Gruppe, eines Männerclubs.
Mitten in dieser Hardcorephase tauchte eine neue Praktikantin auf, die von den unsichtbaren Coolheitsgesetzen nichts merkte. Es war ein etwas pummeliges 19-jähriges Mädchen, kontaktfreudig, mit langen blonden Haaren und lauter Stimme, die mir als Hilfe für die „Rundruf„-Rubrik zugewiesen wurde, ihr Name: Jette Joop. Extravagant gekleidet stürmte sie durch die Redaktion und redete jeden, der ihr begegnete, mit „Du Puschel Du„ an. Die coolen Redakteure reagierten mit Fassungslosigkeit. Jette fand bei uns alles „supi„, wie ihr zweites Wort lautete, und ich ging mit ihr einige Male ins „Gala„, wo sie offenbar jede Nacht abdancte, was absolut nicht TEMPO-mäßig war.
Was in Familien das Sonntagsessen ist, waren bei TEMPO die Redaktionskonferenzen. Vorbei die Zeiten als wir im Cafe Schöne Aussichten brunchten. Die Konferenzen waren für Peichl die pure Erholung und dauerten oft den ganzen Tag, wenn nicht sogar zwei Tage, überflüssig zu sagen, dass kistenweise Cola floß.
Claudius Seidl, Maxim Biller und Michael Hopp wurden regelmäßig aus München eingeflogen und betraten von allen freudig begrüßt wie kleine Stars die TEMPO - Villa an der Alster. Matthias Frings Uwe Kopf, Tom Kummer kamen regelmäßig in unsere helle Dachgeschoss – Redaktion, bis sie selber eine Zeit lang angestellt wurden oder fest freie Verträge hatten. Autorenpflege stand bei TEMPO an oberster Stelle. Die Schreiber wurden gehätschtelt, ihre Wünsche ernst genommen, und sehr oft mit doppeltem Netz gearbeitet. Denn nicht immer kam ein Kolumnist pünktlich mit seinem Text rüber. Der US - Kolumnist Hunter S. Thomsen war der schlimmste. Angeblich konnte er nur mitten in der Nacht nach einem Vollrausch unter Cocain schreiben. Gelegentlich mußte auch eine Tempo –Redakteurin zu ihm in die Staaten fliegen und ihn solange bei seinem Exzessen und Drogentrips begleiten, pflegen und ihm zureden, bis er seine Schreibhemmungen überwand und seine Kolumne endlich ablieferte. Danach musste allerdings die gestresste und entnervte Tempo – Redakteurin gehätschelt und gepflegt werden. Als Tempo – Redakteur musste man Einiges ab können und manchmal ging das auch voll daneben.. Als die Exon Valdis vor der Küste von Alaska havarierte, und dort die berühmte Ölkatastrophe auslöste, schickte Peichl eine junge Abgängerin von der Gruner & Jahr – Schule, die gerade wenige Tage bei TEMPO war und sich bei uns um einen Redakteursposten bewarb, nach Alaska, sie sollte drei Tage vor Ort recherchieren und hatte nach ihrem Rückflug einen Tag Zeit ihren Artikel zu schreiben. Den Text lieferte sie nach ihrer Rückkehr noch in der Redaktion ab, dann wurde sie mit einem Nervenzusammenbruch ins Krankenhaus eingeliefert. Das war gar nicht so witzig. Sie kam nie wieder zu TEMPO zurück und soll ganz mit dem Journalismus aufgehört haben. Wolf Schneider hatte sie für eine seiner talentiertesten Journalistenschülerinnen gehalten.
So streng das Betriebsklima war, so frei war es andererseits und wer zur Family gehörte, durfte alles schreiben, was er wollte, er musste sein Thema nur durch die Redaktionskonferenz bringen. Peichl war immer offen und wer wirklich etwas wollte, den ließ er auch an große und aufwändige Geschichten ran. Der Verlag zahlte. TEMPO ging es, was die finanzielle Ausstattung anging, mehr als gut. Man hatte immer das Gefühl, dass genügend Geld da sei, um es zu verdienen. Egal, was eine Geschichte kostete, sie wurde gemacht, wenn sie gefiel.
( Interview mit Markus Peichl in Dummy 2004 über TEMPO)
Als in Deutschland darüber diskutiert wurde, auf Demos Gummigeschosse einzusetzen, flog ich mit einem Redakteur nach Zürich, um Opfer von Gummigeschossen zu finden, die die Schweizer Polizei gelegentlich gegen Demonstranten eingesetzt hatte. Dabei waren die Geschosse ein paar Mal ins Auge gegangen. Wir machten Interviews mit den Verletzten aus der Schweizer Autonomenzsene. Mein Mit-Redakteur, der sich bis dahin als ein „guter Linker„ verkauft hatte, der selber kaum Geld hat, war stinksauer, als ich den Autonomen erzählte, in welchem Luxushotel wir in Zürich logierten. Für eine Geschichte über junge Opernstars, zu deren gewaltiges Fotoshooting die Sänger extra eingeflogen werden mussten, reiste ich im dicken Mercedes mit 220 Sachen über die Autobahnen. Als ich etwas über Rothaarige schreiben sollte, traf ich mich mit der blonden „Ellen„, einer berühmten Domina aus der Herbertstraße, die mich in einem Rotlicht-Puff in Leder- und Kettenkluft empfing und mir alles über rothaarige Männer im Bett erzählte. Ich machte einen großen Bädertest, für den ich erneut durch Deutschland raste, oder ließ mich zu den Filmfestspielen in Cannes akkreditieren.
Es war lustig, dass Markus ausgerechnet mich beauftragte, das Thema „Männerfreundschaften„ zu recherchieren. Ich interviewte Udo Lindenberg und dessen Produzenten Horst Königstein, traf mich mit Schorsch Kamerun und Rocko Schamoni, mit Günther Jauch und Thomas Gottschalk. Eigentlich dachte ich nun alles über Männerfreundschaften zu wissen, doch kaum zurück in der Redaktion, wurde mir die Sache aus der Hand genommen. Das schrieben die Männer dann doch lieber selbst.
Schwierig war mein Besuch bei Günter Wallraff. Ich sollte bei ihm nachbohren, ob er sein Buch „Ganz unten„ überhaupt selber geschrieben bzw. überhaupt je als Türke verkleidet gearbeitet hatte. Kurz, ich sollte den Enthüller enthüllen und besuchte Wallraff zwei Tage lang in Amsterdam. Das Interview mit dem Straßenbahn fahrenden Millionär machte ich gerne, da ich Wallraff schon kannte. Den Alles-besser-wissenden Begleittext zum Interview traute ich mir nach kaum einem Jahr Journalismus nicht zu, den schrieb Matthias Horx. Noch netter war Wim Wenders, den ich aus Cannes zurück begeistert interviewte und wo Peichl mir eine Überschrift reinhaute, die mein gutes Verhältnis zu Wenders gleich wieder zerstörten musste. Er nannte das Wenders - Interview über dessen Film „Ein Himmel über Berlin“ schlicht: „Die Wim – Bibel“ „Verübelst Du mir das etwa„ fragte Peichl: „Komm gib zu, Wenders ist ein schrecklich heiligtuender Jammerpott, du hast ihn viel zu positiv gesehen.
Um seine Jungredakteure kümmerte sich Peichl auf besondere Weise. Er besorgte uns neben unserem Volontariat einen KUrs bei der Henri Nannen – Journalistenschule, den wir zu sechst, auch einige Redakteure hatte Peichl dorthin bestellt, absolvierten. Zwei Jahre nach dem ich bei Tempo angefangen hatte schrieb ich die ersten Geschichten, die mir wirklich etwas bedeuteten, eine Titelgeschichte über die „Neue Frau“ und ein Essay über „Die Kunst erwachsen zu werden.“
Sehr wichtig wurden für TEMPO die Russen. Seit spätestens 1987 beherrschte Perestroika die Redaktion. Wir hatten dank TEMPO-Redakteur Wolfgang Wilke plötzlich einen Kollegen aus Moskau Michael Sigalow, der deutsch sprach, aus Moskau ausreisen durfte, in unserer Redaktion aufkreuzte von den wahnsinnigen Veränderungen in Moskau erzählte. Der Russenkontakt war prägend. Nicht nur, dass die gesamte TEMPO-Redaktion 1987 zur „Klassenreise„ ins Hotel Russia am Roten Platz fuhr, wir entdeckten die urbane Moskauer Szene und riefen in Ost und West mit einem spektakulären Nachdruck des „Neuen Deutschland„, das in der DDR verteilt wurde, zur „Glasklar„-Bewegung auf. „Unseriös„ blafften die Medien im Westen. Der Ostberliner ND-Chef motzte und Markus saß in Talk-Shows.
( Die TEMPO-Redaktion im März 1987 in Moskau in einem Hotel am Roten Platz, daneben: Markus Peichl und Paul Schirnhofer auf dem Roten Platz)
Außer TEMPO war damals vor der Wende halb Hollywood in Moskau. Und zwar zum Anfassen nah. Wolfgang Wilke gab den armen Ossi aus der DDR. Das faszinierte Robert de Niro und TEMPO hatte ein Interview mit dem Weltstar. Wilke schwebte auf Wolken.
TEMPO-Redakteur Wolfgang Wilke, Robtert de Niro und Michael Sigalow in Moskau 1987.
Peichl und Jochen Siemens brachten den Fall des „Spiegel„-Redakteurs Schultz-Gerstein ins TEMPO-Heft. Die Geschichte eines jungen Journalisten, der mit seinem Chef Augstein Tennisbälle und Frau tauschte, dabei den Kürzeren zog und vor die Hunde ging. Eine solche Geschichte über Gott Augstein war in keinem deutschen Mainstream-Medium denkbar. Auch das war TEMPO.
Markus geriet immer mehr in Termin-Stress, übernachtete fast in der Redaktion, wurde krank und das Heft erschien mit immer mehr Verzug.
Kurz bevor ich TEMPO im Spätsommer 1989 verließ, um mein Studium zuende zu machen, zog TEMPO vom Harvestehuderweg in die Borsigstraße nach Altona in ein großes Loft. Meinen Schreibtisch, der dort wieder aufgestellt wurde, übernahm ein neuer Volontär, ein blasser blonder junger Mann mit einem Babyface. Sein Name:
Christian Kracht. Er kam in seinem Trench und seinem angegelten Haar ein wenig schnöselig daher, war freundlich, anhänglich, schräg und sah nicht aus, als wollte er ernsthaft Journalist werden. Im Übrigen nuckelte er noch Daumen vor seiner Schreibmaschine. Wahrscheinlich damals sein letzter Schrei. Kracht war ein ausgemachter Individualist. Weniger Jahre später wurde er einer der erfolgreichsten Nachwuchsschriftsteller Deutschlands.
Dann kam die Zeit der Maueröffnung, die Wende, die von den „Temporianern„ stürmisch gefeiert wurde.
Im Dezember 1989 wurde Markus gekündigt. Von da an, gab es zwar noch eine Menge guter und sehr guter Leute bei TEMPO, aber es begann, so Christian Schlottau im Rückblick, „das langsame Sterben.„ Der TEMPO-Stil hatte Spuren in den Medien hinterlassen, die Redakteure gingen reihenweise zu den Etablierten, wo sie mit besonderer Anerkennung aufgenommen wurden. Da TEMPO immer etwas mehr Form als Inhalt war, hätte für ein dauerhaftes Überleben der substanziellen, argumentativen Seite, deren Ablehnung quasi System gewesen war, mehr Gewicht zugemessen werden müssen. Coolheit, Prince und Madonna, die großen TEMPO-Ikonen alleine reichten nicht, die Welt zu erklären. TEMPO war ein Blatt der Kohl-Ära und den unter Helmut Kohl in die Macht hineinwachsenden 68ern. TEMPO wurde elf Jahre alt und erreichte Kohls Halbwertzeit damit nicht ganz.
Jetzt wird wieder TEMPO gemacht...!
Ein Comeback ? Ein neues TEMPO-Heft wird Anfang Dezember 2006 erscheinen.
mpo
>> ..zur „Klassenreise„ ins Hotel Russia am Roten Platz ..
Soeben verschwinden die letzten Reste dieses gigantischen Hotels. (siehe Weblink unter URL)
Russland ist seit der Zeit nach der Wende nochmals ganz anders geworden und wird heute unterschätzt.
Kommentiert von: Peter | 29. November 06 um 03:05 Uhr
Famos geschrieben! Im Rückspiegel erscheint Unerträgliches häufig kurios, Unsägliches leicht extraordinär und ob bei der anarcho-selbstkasteiungs-Party dabei zu sein ein solcher Spaß gewesen wäre darf bezweifelt werden (speaking of "Nervenzusammenbruch") - aber darüber einen so großartigen Artikel zu lesen, ist eine Freude.
Kommentiert von: Ralf Kellershohn | 12. März 07 um 21:22 Uhr
Skin on skin- is that too forward???
We are only looking for couples and single females.
http://www.uinlove.com Single males are automatically filtered out and never reach our inbox.
It always amuses us that single guys cannot read and think that if they email us they will be the "one"
that breaks down that rule and makes us just gotta get together with them.
Kommentiert von: single women | 29. August 07 um 20:16 Uhr
Vielen Dank für die Zeit nehmen, zu dieser Debatte , Ich fühle mich stark daran und lieben lernen mehr über dieses Thema. Wenn möglich, wie Sie Erfahrungen sammeln , would you mind Aktualisierung Ihrer Weblog mit weiteren Informationen? Dies kann sehr nützlich für mich .
Kommentiert von: outdoor lighting manufacturers canada | 25. August 11 um 23:36 Uhr
Nietzsche hat, glaube ich, irgendwann einmal geschrieben: "Der Christ...der Jude noch einmal, zweimal selbst".
Entsprechendes scheint mir für TEMPO und die Neue Linke 1968 ff. zu gelten. Mag ja sein, daß die "Macher" des Blatts entschlossen waren, mit den abgeschmackten Seiten der linken Subkultur, die sich im Gefolge von Achtundsechzig herausgebildet hatte, zu brechen. Aber so subjektiv aufrichtig, wie dieser Vorsatz gewesen sein mag; im Grunde dokumentieren die Zeitschrift und das Milieu, dessen Sprachrohr sie war, doch einfach nur die Wandlungen des rührigsten, umtriebigsten Segments der linken Lumpen-Intelligentsia in den 80er Jahren - Matthias Horx scheint mir dafür das beste Beispiel.
Man warf alle sichtbaren Kennzeichen des zunehmend gealterten und unattraktiv gewordenen Milieus über Bord, konservierte aber das, was auf Englisch die "leftist sensibility" heißt. Einerseits hatte man mit manchem, was im Zentrum des linken 70er Jahre Bewußtseins gestanden hatte, mit dem ganzen linken Politizismus, nichts mehr am Hut (dem Realsozialismus, der Revolution, dem sexuellen Puritanismau, der Lustfeindlichkeit allgemein), andererseits schossen auf den Seiten des Magazins einige der unerfreulichsten Phänomene der bundesdeutschen link(sliberale)n Mentalität - etwa die Inländerfeindlichkeit - nur umso üppiger ins Kraut.
Von heute aus gesehen, scheint der Bruch mit der 68er Kultur halbherzig und unvollständig, oder anders gesagt: Der laue Linksliberalismus, der als Rückstand von 1968 die veröffentlichte Meinung und das Durchschnittsbewußtsein der jüngeren Westdeutschen beherrscht, wurde von Zeitgeist- und Lifestyle-Journalisten lediglich renoviert.
In gewisser Weise brauchte man nur die Entwicklung des linken und linksalternativen Spektrums in den 70er Jahren durchzustreichen und auf die eigentliche Revolte des Jahres `68 zurückzugehen. Um ihre idealistischen Motive und ihren intellektuellen Überbau reduziert, scheinen mir das Jahr 1968 und seine Protagonisten für ein Projekt wie TEMPO genuine Anknüpfungspunkte zu bieten.
Nicht in ihrer Ideologie, ihren subjektiven Absichten und ihrem Selbstverständnis, wohl aber in ihrer Mentalität, in ihrem ganz empirischen So-Sein als Alltagsmenschen, nahmen die 68er in ihrer Mehrzahl ihre Nachfolger, die hyperindividualisierten Ich-Menschen der 80er und 90er Jahre, in vieler Hinsicht vorweg.
Ein Beispiel: Sie werden sicherlich bemerkt haben, wie sehr sich in den letzten 10 Jahren die Wahrnehmung des raf-Terrorismus verändert hat. Unter dem unmittelbaren Einfluß des sog. "deutschen Herbstes" wäre niemand auf die Idee gekommen, sie so zu sehen, aber in der Wahrnehmung einiger Nachgeborenen erscheinen die raf-Terroristen als hip, cool, leicht und sexy - als Stilikonen, mit einem Wort. Und diese Sichtweise - mag sie auch unhistorisch sein - kommt nicht von ungefähr. Der bundesdeutsche Linksextremismus ist heute in vielen seiner Derivate (und zwar bis in die Nachwuchsorganisationen der Linkspartei hinein) seinerseits so stilbewußt, hedonistisch, versnobbt, zynisch und elitär geworden, daß er wohl keine Probleme hätte, vor den Augen der 80er Jahre Zeitgeist-Journaille Gnade zu finden.
Kommentiert von: Michael Laudrup-Fan | 03. Oktober 11 um 02:36 Uhr
Man beachte, dass der Herr Gre4fgen mit ineesm zart besaiteten Gemfct nicht wirklich gefoltert wurde, ja, die Beamten nicht mal die Absicht gehabt haben. Niemand wollte que4len und foltern es war ein Bluff, um das Leben eines Kindes zu retten.Wer das gleichsetzt mit der NS-Verfolgung von Untermenschen , hat schon ein sehr spezielles Verhe4ltnis zur Realite4t. Abgesehen davon, dass auch dieser Bluff natfcrlich rechtswidrig war. Daher ist das Schmerzensgeld korrekt, sollte aber sofort eingezogen werden zu Gunsten einer Organisation wie dem Weidfen Ring . Stefan Albert
Kommentiert von: Ivanescu | 15. April 12 um 08:00 Uhr
Die eigentliche Wuerze liegt in der Subtilen Offenlegung der Wiedersprueche. Dem Autonomen in Zuerich zu erzaehlen, dass ihr in so Einem 5 Star Hotel Logiert zeigt, wie unbekuemmert Du dem Autonomen wissen laesst, dass ihr mit ihm eigentlich nur einen Haufen Geld verdient.
Cool, Frisch und lebhaft ...besser geht es nicht.
Kommentiert von: Hauke Timm | 15. Februar 13 um 02:04 Uhr