Die RAF- die letzte deutschnationale Identifikationsstiftung ( veröffntlicht bei WELT Debatte)
Von Bettina Röhl
Welch ein Jubiläum! Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Mord am Dresdner Bankchef Jürgen Ponto! Mord an Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer! Und: Mord an den Buback-Begleitern Wolfgang Göbel und Georg Wurster, Mord an den Schleyer-Begleitern Heinz Marcisz, Reinhold Brändle, Roland Pieler und Helmut Ulmer – das sind die neun Mordopfer der RAF des Jahres 1977. Und da war noch was: Mord an dem Lufhansapiloten Jürgen Schumann im Wege der „Amtshilfe“ palästinensischer Terroristen zu Gunsten deutscher RAF-Täter. Welch eine Jubelfeier! Die Republik feiert 30 Jahre Massenmord und gedenkt der Täter und ihrer Taten, der RAF. Und die überlebenden Opfer aus fast vierzig Jahren RAF und die Angehörigen der Opfer sollen diesmal einbezogen werden. Die 86 geretteten Insassen der entführten Lufthansamaschine Landshut dürfen vielleicht auf den oberen Rängen ganz hinten Platz nehmen.
Die Gedenkfeier für die RAF hat auch einen Namen. Sie heißt „30 Jahre Deutscher Herbst“. Es muss ein trauriges Deutschland sein, ein Erbärmliches. Der Herbst ist eine von vier Jahreszeiten des Sonnenjahres und das Jahr 1977 ist eines aus der 1200.jährigen deutschen Geschichte. Den Blutrausch der RAF – die versuchten Morde der RAF sind in der oben erwähnten Statistik nicht mitgerechnet – und den Versuch der Freipressung von RAF-Mitgliedern aus dem Gefängnis Stuttgart Stammheim im September/Oktober 1977 mit der Begrifflichkeit „Der Deutsche Herbst“ zu belegen, ist peinlich, ist engstirnig, ist durch und durch unhistorisch. Es offenbart sich die seinerzeitige Verstrickung in den RAF-Wahn von ein paar Filmemachern, wie Rainer Werner Fassbender, Alexander Kluge und Volker Schlöndorff, die damals mit ihrem Gemeinschaftsfilm über die Befindlichkeiten um die RAF begannen, für den sie sich als Titel die Chiffre„Deutscher Herbst“ ausgedacht hatten. Das ist aber immer noch kein Grund, daß ihnen die gesamte Bundesrepublik sprachlich bis heute folgt;
Herbst in Deutschland; Zwetschgenkuchen, der Beginn der Fußballsaison, die wirtschaftliche Rallye auf Weihnachten hin, die nächste Wintermode - an all das denkt der Durchschnittsbürger, wenn er Herbst denkt. Wenn man den „Deutschen Herbst“ unbedingt als Titel vergeben möchte, dann muss man über den 68 cm Umfang messenden Tellerrand hinausschauen: Es war Herbst, als Martin Luther die damalige Staatskirche herausforderte und einem reformatorischen Geist Raum in ganz Europa und der ganzen Welt anhaltend bis heute verschaffte. Es war Herbst, als der Westfälische Frieden den dreißigjährigen Krieg, der europäische, historische Dimensionen hatte, beendete. Es waren die Nazis, die Polen im Herbst überfielen und den zweiten Weltkrieg auslösten. Es war Herbst, als die Bürger der DDR die Freiheit der kommunistischen Diktatur erlangten und die Deutschen die Wiedervereinigung ihres bis dahin geteilten Landes erlebten. Das sind wahrhaft deutsche Herbste im höchsten Sinne wie im Tiefsten, in denen historische Weichenstellungen stattfanden. Da kommt Mitleid auf mit den 68ern, die sich offenbar selber immer noch für den Nabel der Weltgeschichte halten. Diese grau gewordenen Revoluzzer-Generationen samt der jüngeren Anhänger ihrer Ideologie unterscheiden sich in mancherlei Hinsicht nur unwesentlich vom Durchschnittsdeutschen. Der wählte im Jahr 2003 über mehrere Massenmedien auf die damals erstellte Liste der 100 wichtigsten Deutschen Daniel Küblböck auf Platz 16, 14 Ränge vor Dieter Bohlen und beruhigender Weise 15 Plätze hinter Johann Wolfgang Goethe, den Erstplatzierten.
Vielleicht wäre es günstig den „Deutschen Frühling“ zu etablieren. Im Frühjahr des Jahres 1945 ist Hitler verschwunden, sind die Nazis besiegt worden, hat das Dritte Reich kapituliert, und, wenn auch unter erheblichen Geburtswehen mit sehr viel menschlichem Leid, war die Chance geschaffen worden ein neues demokratisches, rechtsstaatliches Deutschland aufzubauen und aus dieser Chance ist letzten Endes die heutige Bundesrepublik mit ihrem Grundgesetz und einer hervorragenden Verfassung entstanden. Der Titel „Deutscher Frühling“ für den Neuanfang von 1945 würde nicht nur dieser Bundesrepublik, die es nicht leicht hatte und dennoch ihren Weg gemacht hat, zur Ehre gereichen, sondern er würde auch das unmoralische und unästhetische Moment der RAF, die in dem roten Bürgerkriegsjahrzehnt die Heizer-Rolle übernommen hatte, sichtbar machen.
Die hoffnungslose Überbewertung der RAF und die anhaltende Produktion von Rechtfertigungsschleim und Entschuldigungssoße und der Erklärungswahnsinn, der dem Wahn der RAF nicht wesentlich nachsteht, würden schon ein wenig gedämpft werden, wenn der Sprachfehler korrigiert würde; Es gibt diesen Deutschen Herbst schlechterdings nicht, außer in der Phantasie einiger ewig gestriger Ideologen, die aber immer noch über Zeitgeistmacht verfügen.
Man hatte sich nämlich mit freundlicher Unterstützung aus Ostberlin, Moskau und Peking anschwellend im Laufe der sechziger und siebziger Jahre in einen Eigenspin versetzt und die rasende Rotation für den normalen Ruhezustand erachtet. Man hatte sich selber den Stempel links, sozialistisch, kommunistisch oder New Left aufgedrückt und die Bundesrepublik zu einem neuen faschistischen Staat in Europa erklärt. Dazu parallel hatte man Israel als quasi 51.ten Staat der USA zum neuen imperialistischen, wenn nicht faschistischen Staat im Nahen Osten erkoren, weshalb man die Bundesrepublik, Israel und die USA hasste und bekämpfte und den von der DDR unterstützten palästinensischen Terror gegen Israel sympathisch fand.
Enteignung von Produktionsmitteln, von Grund und Boden und die mit glühenden Augen und ausgeschaltetem Verstand propagierte, heiß geliebte Revolution frei nach Stalin-Verehrer Mao Tse Tung, dem wahrscheinlich effektivsten Völker –und Massenmörder der Menschheitsgeschichte - das waren die Träume und Ziele, das waren die Strategien, mit denen diese Bundesrepublik, deren sogenanntes „System“ und deren Gesellschaft und Establishment vernichtet werden sollten. Strategien, von denen die 68er, die sich diesermaßen gerierten, heute nur noch in vergoldeter und weichgespülter Form etwas wissen möchten, so sie nicht im Einzelfall bestreiten, was sich tatsächlich abgespielt hat.
Die Bundesrepublik Deutschland musste bereits Ende der sechziger Jahre eigens für die damaligen studentischen Revoltierer eine Amnestie erlassen, um nicht ganze Jahrgänge von straffälligen Menschen durchschleppen zu müssen. Der liberale, sozial denkende Willi Brandt sah sich gezwungen einen zweifelsfrei unschönen Radikalenerlass 1972 zu befürworten, damit nicht Menschen, die diesen Rechtsstaat zerstören wollten, als Beamte von diesem Staat alimentiert, ihren Staatszerstörungwillen von innen in die Tat umsetzen könnten. Was die RAF in die Tat umgesetzt hatte (Praxis), das schwirrte in den Phantasien ganzer Generationen durch die Köpfe; Tyrannenmord, Enteignung, Revolution, Revolution und noch mal Revolution. Revolution blieb dabei immer eine sinnleere Vokabel, die jedoch die Pulsfrequenz erhöhte.
Die Bundesrepublik hat tapfer mit den Füßen gestampft und sich in dem roten Jahrzehnt, 1967-1977, nicht von der RAF, sondern von einer von erwachsenen Ideologen angeführten Jugendrevolte, der sogenannten 68er-Bewegung, herausfordern lassen. Und weder die „6“ von der RAF standen allein gegen 60 Millionen .Bundesbürger ( Heinrich Böll), noch die 100 000sende von Sympathisanten, noch die Millionen von Mitläufern der 68er-Generationen standen allein gegen den Rest der Republik. Tatsächlich war es anders; die Systeme der gesamten kommunistischen Welt, mit damals 1,5 Milliarden Menschen mit Atomwaffen, den größten konventionellen Armeen dieser Welt und gewaltigen Propaganda-Industrien und einer kommunistischen Weltherrschaftsideologie haben dem Westen machtstrategisch gegenüber gestanden. Hinzu kam eine erhebliche subversive Einflussnahme in den Westen hinein, wozu man sich auch der Mitglieder der 68er-Bewegung als nützlicher Idioten bediente. Im Übrigen gab es Moskau- oder Pekingorientierte kommunistische Parteien oder Gruppierungen in den westlichen Demokratien und auch in der Bundesrepublik und es gab auch die von Mao angeregten Terroraktivitäten in der sogenannten Dritten Welt.
Es ist historisch gesehen ein aufgeblasener, regelrechter Blödsinn, den man dieser Tage wieder vermehrt in der deutschen Öffentlichkeit zu vernehmen hat, daß der Deutsche Herbst so bedeutend sei weil es in der deutschen Nachkriegsgeschichte nur einmal eine klitzekleine Gruppe namens RAF gegeben habe, die jemals den Staat herausgefordert hätte. Abgesehen davon, daß geistlose Herausforderung eines Staates keine politische Heldentat ist, müssen die 68er und die RAF - und ganz besonders die RAF-Historiker - gegenwärtigen, daß ihre Legende von dem heldenhaften Widerstand 30 Jahre nach Hitlers Tod und ihre Legende, daß die 68er in der Bundesrepublik erst das Grundgesetz mittels ihrer Spezialarmee namens RAF und anderer Militanzgruppen durchgesetzt hätten und das sie die Demokratie, die bis dahin nur auf dem Papier gestanden hätte, erst eingeführt hätten, damals frei von Realität war und bis heute frei von Realität geblieben ist.
Es ist Zeit für eine andere Betrachtung: Wo stünde die Bundesrepublik heute, wenn es die Destruktionswut der APO und der 68er, die zwischenzeitlich sogar einmal Bundesregierung waren, nicht gegeben hätte? Die Bundesrepublik in den endsechziger und siebziger Jahren unter den Kanzlern Willi Brandt und Helmut Schmidt, stand im Weltranking nicht nur ökonomisch, ganz weit oben, sondern auch ideell-politisch in der Spitzengruppe; die Bundesrepublik hatte damals relativ im Vergleich zu anderen Staaten ein hohes Niveau, was Bildung und wirtschaftliche Teilhabe aller Bürger anbelangt. Sie war ein stabiler Rechtsstaat, eine stabile Demokratie und ein überbordender Sozial- Kranken- und Rentnerversorgungsstaat. Vollbeschäftigung war gewährleistet und die Bundesrepublik musste sich im Kalten Krieg behaupten und sie stellte sich als Einziger der beiden deutschen Staaten dem Versuch der Bewältigung der Nazivergangenheit. Die Geschichte muss wieder auf die Füße gestellt werden. Realität statt Legenden und Mythen.
Die RAF hat auch im Jahr 1977 nichts, wie es neuerdings zu hören ist, Positives bewirkt, auch nicht faktisch ungewollt. Tatsächlich hat sie bewirkt, daß die unzähligen Gewalttaten in dem damaligen Politrock-Zirkus hernach wie vernebelt, bis zur Unkenntlichkeit atomisiert waren, so diese Gewalttaten in der veröffentlichten Meinung nicht in geradezu notwendige, revolutionäre Vergangenheiten mit einer Legalität der besonderen Art umfunktioniert wurden. Die Amnesie der 68er nach den 77er-Ereignissen und das Erdulden der paralysierten, überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft, wirkte sich wie eine faktische neuerliche Amnestie zu Gunsten der Revolutionsphantasten aus; die 68er wurde samt ihren Gewaltphantasien und ihrer von nun an gehassten Lieblings-RAF, von der die Trennung bis heute schwer fällt, in die Gesellschaft integriert, wo die Führer der Bewegung zum neuen Establishment und zur Deutungselite avancierten.
Das mag diese Elite positiv sehen, jedoch ist die stillschweigend unter den Teppich gekehrte Ideologiebindung und die Bindung an alte Strukturen und die Prägung durch die Traumata und die Irrtümer durch ein ganzes Gewaltjahrzehnt, ein zweifelhaftes Vergnügen für diese Bundesrepublik, die im Weltmaßstab auf fast allen Gebieten kontinuierlich abgesackt ist. Dies ist immerhin ein Indiz für die Zweifelhaftigkeit des Segens, daß die Staatszerstörer, allen voran die Hardcores unter diesen, nach 1977 als Gewendete den Durchmarsch nach ganz oben geschafft haben. Auffällig auch, daß diese Gewendeten seither den schwarzen Peter der fatalen Irrtümer und der Gewalt gerne den letzten RAF-Terroristen in den Gefängnissen zuschieben, wobei sie sich hüten allzu sehr auf Distanz zu gehen. Überkritisch wurde es, als diejenigen, die 1977 noch ihre klammheimliche Freude über Schleyers, Bubacks oder Pontos Ermordung propagiert hatten, schließlich die Lenkungsmacht in den Apparaten und gleichzeitig die öffentlich wirksame Deutungsmacht im Staat übernahmen, insbesondere in den Jahren 1998-2005.
Das Nachsehen nach der großen Umarmung zwischen dem Staat und den eben noch gewaltbereiten Verirrten nach dem 77er-Schock, hatte der bürgerliche Teil der Bevölkerung, der in diesen Jahren gearbeitet und damit die Revolutionsspielereien finanziert hatte und der nun zusehen musste, wie die früheren Outlaws, Gewaltverherrlicher und Destruktionsphantasten, auf der Karriereleiter - bevorzugt und gefördert - vorbeizogen. Das Paradoxon: Das Ergebnis der Gewalt von 1977 war, daß die Gewalt zwar wesentlich abebbte und auch die massenhafte Gewaltfaszination, die das eigentliche Thema war, erlahmte, aber gleichzeitig individuelle Gewaltvergangenheiten und sogar auch neuer gewalttätiger Protest ( Startbahn West, Anti-AKW) hoffähig wurden.
Auch die komische Seite soll hier nicht verschwiegen werden. Die 68er-Elite und auch die deutschen Herbst-Stürmer sind eine zwar noch oben schwimmende, aber doch schrumpfende Kaste, die noch nicht richtig begriffen hat, daß sie mit ihrem Lieblingsthema RAF und aktuell dem „Deutschen Herbst“ in Wahrheit zu einer grotesken Parallelgesellschaft geworden sind, für die sich der Durchschnittsbürger und auch der Durchschnittsstudent nicht mehr interessiert.
Bevor das Abendland untergeht und das Grundgesetz in den Koran integriert ist oder doch noch in ein atheistisches, neues, kommunistisches Manifest der globalen Globalisierungsgegner umgewandelt wird, bevor die Kinderlosigkeit der Deutschen Selbige endgültig mit Wehmut erfüllt, zeigt sich mehr und mehr, was der gigantische RAF-Schaum in den Medien tatsächlich bedeutet: Die RAF ist für die Alt – und die Neo-68er und sogar auch für deren Kinder und Kindeskinder wie selbst auch für die Gegner der 68er die letzte teutonische deutschnationale Identifikationsgröße. Sie ist abstrakt genug, sie ist fern genug, sie ist genug mythologisiert, sie stiftet in diesem Sinne Gemeinschaftswerte und Tradition, sie ist Jugenderinnerung und sie ist Erinnerung an die goldenen sechziger und siebziger Jahre, als es den Menschen gut ging. Die Ossis hatten ihren Spaß mit Good-by Lenin, soweit sind die Westalgiker noch nicht. Solange dient der Deutsche Herbst den 68ern als Substitut für ihr spezielles Groß-Germania. Da gibt es zur RAF offenbar keine Alternative.
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