Die RAF und die Bundesrepublik - Essay |
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Bettina Röhl |
Die historische Einordnung der RAF bleibt so lange ein Kampf gegen Windmühlen, wie die Bewegung, welche die RAF hervorbrachte und die man gemeinhin APO/68 nennt, mit Wirkung für und gegen jedermann diktiert, was sich geschichtlich tatsächlich ereignet habe. Die Tatsache ist nicht ernsthaft bestreitbar, dass die Deutungsmacht der 68er-Ideologen in fast allen gesellschaftlichen Belangen und in entscheidenden Institutionen wie den Medien, den Universitäten, den Schulen, dem Kunstbetrieb und, last but not least, in Teilen der Justiz, seit 35 Jahren allumfassend ist. |
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Dabei stehen einer Historisierung, die diesen Namen verdient, weniger die sympathisierenden Bewertungen einer permanenten Nabelschau entgegen als vielmehr manipulative Eingriffe in den faktischen Gang der Dinge, also in das, was in den 1960er und 1970er Jahren in West- und Ostdeutschland, in China, in Tibet, in den USA, in Vietnam, in der Sowjetunion, in Kuba und in den Ländern der "Dritten Welt" passierte und wie die Ereignisse tatsächlich miteinander zusammenhingen. Da gibt es zwischen Schein und Sein, zwischen Wunsch und Wissenschaft, zwischen Ideg und Realität, zwischen politisch korrekten Urteilen und der inkorrekten Wirklichkeit zum Teil erhebliche Diskrepanzen. Statt mit historischen Fakten und darauf basierenden Einschätzungen wird die Öffentlichkeit seit Jahrzehnten routiniert mit unendlich bedeutungslosen Details von Terroristen zu deren persönlichen Befindlichkeiten und Taten gefüttert, Details, welche die gesamtgesellschaftliche und politische Analyse verkleistern und regelrecht unmöglich machen. Da konnten ein paar empörte, so genannte konservative Gegenstimmen, die glaubten, der Ideologie resistent entgegenzutreten (meist aber selber schon durch die allgegenwärtige Propaganda angeschlagen waren), und oft nicht mit gleichwertigem, wettbewerbsfähigem Insiderwissen ausgestattet, kaum Abhilfe schaffen. Hier muss auch die Tatsache deutlich benannt werden, dass es zur erfolgreichen Strategie der Bewegung seit deren Entstehen gehört, jede Kritik und jede Benennung "störender" Fakten als Sakrileg zu ahnden. "68" ist, anders als etwa die katholische Kirche, die in den evangelischen und den Freikirchen ihre Widerparts hat, und anders als die Philosophie, die unterschiedliche Schulen aufweist, in der Bundesrepublik (West) noch immer eine Monopolveranstaltung ohne ernsthafte Konkurrenz. So lässt sich der Status quo der Geschichtsschreibung zur RAF nur mit dem vernichtenden Urteil belegen: selektiv, fiktiv und in der Bewertung bis über beide Ohren befangen; seit einem Dritteljahrhundert nichts Neues, gebetsmühlenartige Wiederholung altbekannter Chimären, geistiger Stillstand. Die RAF als gewaltsame Speerspitze der 68er-Bewegung ist mit all ihren Vorläufern und Nachahmern, von der "Bewegung 2. Juni" bis hin zu den Revolutionären Zellen, ein gerade 40 Jahre altes Phänomen, das vom ersten Tag ihres Bestehens an massenmedial kommuniziert wurde, und dies mit Fernwirkung bis heute. Trotzdem ist kaum Licht in diesen historischen Gegenstand zu bringen. Zum einen beherrschen die Schilderungen der RAF-Täter und die der damaligen Chefideologen die Geschichtsschreibung in ganz ungebührlicher Weise, zum anderen gibt es einen politisch korrekten Mainstream, der Tabus aus härtestem Granit setzt und der selektiert, wer sich in den Medien und in der Geschichtsschreibung überhaupt äußern darf. Neuerdings sind es vor allem die so genannten, häufig miteinander vernetzten Renegaten der Bewegung, die sich mit viel Sympathie für ihre ideologisch bewegten Radaujahre als Historiker in eigener Sache betätigen - mit dem Makel, dass sie über Jahrzehnte biographisch tief verstrickt und ziemlich verblendet waren. Daraus konstruieren sie in therapeutisch anmutender Selbsteinschätzung, dass sie ihren Realitätsverlust überwunden hätten und als ausgestiegene "Sektenmitglieder" jetzt das absolute Wissen und den Durchblick besäßen. |
Das ist kein Kavaliersdelikt. Die Geschichtsschreibung zur NS-Zeit hat man zu Recht nicht braunen Tätern überlassen, sondern den Nachgeborenen, den Zeitzeugen auf der Opferseite und denen, die nachweislich unbelastet waren. Unvergleichbar? Nicht ganz, immerhin müssen sich auch die heutigen Renegaten gefallen lassen, dass sie damals oft Führungspositionen in einer Bewegung inne hatten, die sich - todernst gemeint - den Völker- und Massenmördern Mao Tse Tung, Ho Tschi Minh und Lenin verschrieben hatte und eben auch ein sympathisierenden Verhältnis zur RAF pflegte.
"68" ist ein geschlossenes System, das alles und jeden bewertet und bis heute das Monopol der Beurteilung seiner selbst als immanente Größe für sich reklamiert. Die geliebte eigene Pestbeule mit Namen RAF ist auf diese Weise zu einem perfekten, unantastbaren Mythos geworden. Ihre toten und noch lebenden, früheren Mitglieder sind Fabelwesen zwischen Teufel und Engel.
Die jüngste RAF-Debatte ist eine Phantom-Debatte. Ein bisschen ballaballabumbum oder war es doch eher bumbumballaballa? Das war der Aktionismus der RAF. Viel weiter
reichte es nicht. Wenn die Gesellschaft der Bundesrepublik gelassen geblieben wäre und die Medien abgewunken hätten, wäre bereits die erste RAF-Generation in sich zusammengesackt, es hätte keine Nachfolgegenerationen gegeben, und niemand müsste sich mit den in diesem Falle unbekannt gebliebenen Tätern auseinandersetzen; es hätte keinen Terrorismus in Deutschland gegeben. Insofern muss festgehalten werden, dass die RAF von Beginn an ein nicht ungefährliches Medienprodukt war. Die Medien waren die Conditio sine qua non für das Entstehen und die Fortexistenz der RAF, und dabei haben sie verantwortungslos die Terroristen zu Kultfiguren gemacht: eine Art Dallas-Show in Sachen Weltrevolution.
Aus der RAF wurde ein urbaner Reality-Western: Fiesling Baader, böse Ensslin, Identifikationsfigur Meinhof, Chefideologe Mahler, Hungeropfer Meins, der liebe Raspe und, nicht zu vergessen, die roten Star-Advokaten. Das Ganze mit Rollenverteilung und viel Action, mit Banküberfällen, Morden, Schießereien, Anschlägen, Hungerstreiks, Verhaftungen, Kampagnen, einem großen Prozess und einem Schlussakkord 1977 mit Flugzeugentführung und Erpressung der Regierung, Mord an einem führenden Repräsentanten der Wirtschaft und den kläglichen Selbstmorden der Hauptdarsteller. Sieben Jahre Vollkaracho in den Medien: Am Ende hatte die RAF Kultstatus.
Die RAF als Legende und Mythos - das ist die Befindlichkeit von vielen Millionen, die sich über Jahre mit ihren medial gemachten Idolen identifizierten, mit diesen hassten, liebten und revolutionierten. Die Opfer der RAF waren für sie ebenso nebensächlich, wie die Medien und die RAF selbst die Opfer behandelten. Welch eine seit mehr als dreißig Jahren stabile öffentliche Schizophrenie zwischen der Realität der armseligen Bruchpiloten, die in Kriminalität abgeglitten waren, und den Phantasiebildern von den vermeintlichen Revolutionshelden in den Medien und in den Köpfen von Millionen Anhängern der 68er-Bewegung, die an ihren RAF-Ikonen hängen wie frühere Generationen an der Nibelungensage.
Wenn jetzt ein Eichinger-Action-Film die RAF-Taten genauso abspult, wie sie damals bereits zum Mythos verbrämt von den Medien aufbereitet wurden, diesmal als Spielfilm, ist dies ein neuerlicher Beleg dafür, dass sich in Sachen RAF nichts bewegt hat. Dies ist insofern eine mittlere Katastrophe, als das Thema erneut verfehlt und der Irrtum
beflügelt zurückbleiben wird, als seien ein paar RAF-Täter mit ein paar Pistolen und Bomben und ein paar plagiierten Politsprüchen der Gegenstand, der seiner Erklärung harrt. Die RAF verfügte über kein eigenes Können, kein Management, keine Idee, kein politisches Konzept, keine Vision, mittels derer sie in der Lage gewesen wäre, die genannten Generationen in ihren Bann zu ziehen. Sie war ein Medienfake.
Der Irrtum ganzer Generationen, die RAF habe "Politik" gemacht, das Nachlaufen, das Hinterherlaufen, die sympathisierende Anhängerschaft, auch der feige Nervenkitzel und selbst die kokette Kritik - dieses Massenphänomen ist der Gegenstand, der noch immer einer soliden Historisierung harrt. Es darf nicht verloren gehen, dass die völlig sinnlosen Taten der RAF nicht deren singulär fehlgeleitetem Geist entsprungen sind. Vielmehr war es so, dass Phantasien von Tyrannenmorden in vielen Zirkeln und Kneipen bei Rotwein und Drogen zu fortgeschrittener Stunde ein beliebtes Thema gewesen sind. Dabei wurden viele Tyrannen in der Bundesrepublik, darunter auch der damals amtierende Bundeskanzler Willy Brandt, ausgemacht, weshalb die jüngste Aufregung darüber, dass auch Brandt auf der Entführungsliste der RAF gestanden habe, ziemlich artifiziell ist.
Die Kriminalität der RAF war Katalysator. Die RAF als terroristische Speerspitze entstand von unten, von der Basis getrieben, und wurde von oben, von ein paar Chefideologen gezogen. Die RAF-Täter waren nicht Opfer der kapitalistischen Gesellschaft, wie sie sich frei nach Marx und Mao gern gesehen haben, sondern sie waren Opfer eines ideologischen Zeitgeistes, der nach Terror und Gewalt verlangte und Zerstörung als solche forderte. Ideelle moralische, ethische Überhöhungen, die routinemäßig den RAF-Tätern und der Bewegung insgesamt angedichtet werden, sind historisch fehl am Platz.
Der geistig-strukturelle Paradigmenwechsel, den das Jahr 1968 der (west-)deutschen Gesellschaft bescherte, hat die Sicht auf die Welt nachhaltig auf den Kopf gestellt. Einer Bewertung der 68er-Bewegung steht weniger das Individuum mit all seinen Vergangenheitsvergoldungen entgegen als viel mehr die Denkstruktur, die man mit der Zahl 68 benennen kann. Die RAF-Formel "Schwein oder Mensch", eine durch und durch inhumane terroristische Erpressung, konnte in diesem Kontext zu einem geradezu moralischen Aufruf an die Bevölkerung zum Mittun avancieren. Das Schwein Terrorist wurde durch den genannten Paradigmenwechsel zum Menschen und der Mensch zum Schwein, um es in der Härte und Konsequenz zu sagen, mit der die Terrorpropaganda in die gesellschaftlichen Denkstrukturen eingriff. Kein Wunder, dass die Gesellschaft der Bundesrepublik dreißig Jahre lang unfähig war, die Opfer der RAF zu würdigen.
Abgesehen davon, dass es keine große Heldentat war, sich fünfundzwanzig Jahre nach Hitlers Tod als mutige, antifaschistische Widerstandskämpfer vor sich selber und vor den Medien aufzuspielen, muss es als einigermaßen realitätsverlustig bezeichnet werden, wenn sich eine Jugendrevolte in den nicht nur satten, sondern auch demokratisch, rechtsstaatlich und sozialstaatlich geradezu überbordenden 1970er Jahren anheischig macht, diese Bundesrepublik nach Maos oder Che Guevaras oder Lenins Vorbild gewaltsam in einen Zustand versetzen zu wollen, der damals in allen kommunistischen Ländern zu besichtigen war. Die Bundesrepublik mit ihrem Kanzler Brandt als "faschistisches Monster" zu bezeichnen, das mit Terror und Revolution einer Umerziehung zu unterziehen sei, war irrsinnig.
Der "Linksfaschismus" (Jürgen Habermas), den der Paradigmenwechsel produziert und hoffähig gemacht hat, führt zu einer gewaltbewehrten Versiegelung gegen jede realistische Bewertung der RAF und erzeugt auch eine Schieflage in der Beurteilung anderer historischer Aspekte. Der jetzt "aufgefundene" kleine Schießbefehl der DDR etwa, so der auf dem Kopf stehende Mainstream, sei doch peinlicherweise ein alter Hut - den allerdings tatsächlich niemand kannte. Die Frage müsste lauten: Woran liegt das? Etwa daran, dass ein so brisantes Dokument seit zehn Jahren keine Chance gegen den kopfständigen Mainstream hat?
Die Ikonenindustrie rund um die RAF läuft wellenförmig auf Hochtouren und spuckt unbeanstandet immer wieder die selben Quietschentchen aus, die Samthose von Baader, die rote Lederjacke seiner Braut - da schreit der Mainstream nicht: Mein Gott, das kennen wir doch millionenfach seit demnächst einem halben Jahrhundert! Jeder legt seine Lieblingsschallplatte gern auf, auch wenn er sie schon kennt. So ist das mit dem Lieblingsspielzeug der 68er, und das heißt eben RAF.
Die Bundesrepublik ist durch den Paradigmenwechsel von 68 mit einem nebulösen Makel behaftet worden. Die hoffnungslose Überrepräsentanz des Themas RAF in den Medien ist ein klares Indiz für die Tatsache, dass die ideologische Sympathisantenschaft für die Terrorgruppe und der damit einhergehende Generalverdacht gegen die Bundesrepublik noch immer nicht entzaubert sind.
Die literarische Form, die wir wohl Michel de Montaigne verdanken, war zu einer Zeit, als noch "Essays" versucht wurden, von Skepsis gekennzeichnet. Einer Skepsis, die sich auch gegen die eigene Überzeugung und den eigenen Text richtete. Frau Röhl wiederholt nur in riesengroßen Sprachblasen ihre Dauerbotschaft : die 68er!!!... Woher übrigens kennt Frau Röhl beispielsweise die Phantasien der Anhänger der "68er Bewegung", welche Argumente führt sie an für ihre starken Allgemeinplätze? Auch Essays sollten ja wohl eine Art argumentativer Substanz haben. Bader, Meinhoff und RAF galten der Mehrheit meiner an Willi Brandts Politik orientierten "68er" Mitstudenten am Poliik Seminar einer durchschnittlichen Provinzuniversität der Jahre 1969 bis 1974 als Verbrecher. Damals wie heute.
Frau Röhls Beiträge zu RAF und 68 lassen sich vielleicht mit einem Satz Hans Blumenbergs kommentieren, nämlich "ob die hohen Erwartungen, die in vorläufigen Vermutungen (...)angelegt werden, jemals zu begründeten Einsichten konsolidiert werden können. Noch sieht es eher so aus, als handele es sich um terminologische Metastasen."
Kommentiert von: Rolf Schaper | 06. Oktober 07 um 23:28 Uhr
Exzellent!
Ihr Essay, Frau Röhl, ist der einzige Text zum Thema in der Politischen Bildung, der es lohnte gedruckt zu werden! Der Herr hier vor mir arbeitet sich an Ihrer Unabhängigkeit ab und hat den Text nicht verstanden. Außerdem lügt er oder er ist weltfremd. Lustig: das Jahr 2007 ist gefüllt mit Tausenden von RAF-und 68er-Artikeln und Büchern und hier kommt jemand als Erstes daher und will seiner eigenen Biographie wenigstens einen Goldschimmer verpassen und behauptet wahrheitswidrig, daß das Thema, das seit Monaten alle Medienseiten füllt, ein Dauerthema von Bettina Röhl sei. Was treibt einen solchen ehemaligen Provinzstudenten eigentlich um?
Kommentiert von: K. W.Schmidt | 07. Oktober 07 um 11:17 Uhr
nach der Lektüre des genialen Textes von Frau Röhl in dem Bíldungsblatt, das oft genug Autoren einkauft, die selber nicht ganz ideologiefrei (siehe den Beitrag von Christian Semlers in der selben Beilage)sind, wollte ich hier eigentlich nur "genial" als Kommentar bringen. Wenn ich jedoch sehe, daß hier gegen die Person argumentiert wurde, weil der unangreifbare Text wem widerstrebt, möchte ich hinzufügen, daß es immer unfreiwillig komisch ist, wenn einer selber bestätigt, was er gerade so vehement bestritten hat. Das die 68er die RAF als bloße "Verbrecher" gesehen hätten, ist statistisch nachgewiesener Unsinn.
Kommentiert von: Erika Schuster | 07. Oktober 07 um 12:34 Uhr