Die deutschtümelnde Atomdiskussion hat etwas erschütternd Weltfremdes.
von Bettina Röhl aus: Mainstreamreport bei Welt online
Am deutschen Atomwesen soll die Welt genesen. Das rot-grüne deutsche Atomausstiegsprojekt, das von seinen Erfindern für das achte Weltwunder erachtet wird, hat indes, um im Bild zu bleiben, keine Strahlkraft in den Rest der Welt hinein. Dort ist man weder angeregt noch aufgeregt, was den atomaren deutschen Sonderweg anbelangt, man ignoriert ihn. Man kennt ihn größtenteils nicht einmal, von den wenigen immer gleichen Leuten abgesehen, die für Regierungen oder Nicht-Regierungsorganisationen um die Welt jetten und sich zu den immer gleichen Energiekonferenzen treffen.
Die meisten Europäer freuen sich im Zweifel klammheimlich, wenn sich in Deutschland ein für sie profitabler Importmarkt für ihren eigenen Atomstrom entwickelt. Eine Vorbildfunktion entfaltet der deutsche Atomausstieg nicht. Und Deutschland bleibt rundum von nicht deutschen Atomkraftwerken umstellt.
Als die große Koalition 2005 den rot-grünen Spuk beendete, stand fest, dass der deutsche Atomausstieg seinen Zenit überschritten hatte, anti-atomare Festlegungen im Koalitionsvertrag hin oder her. Die CDU schleicht nun in die Atomkraft zurück und ihre Frontfrau Merkel eiert vorne weg, nach dem Motto: das Beste wäre, wenn der Strom aus der Steckdose käme und niemand ihn machen müsste. Weil das nicht geht, sagt die Kanzlerin des Nichtssagens: wir brauchen alles; schon heute bestehende Atomkraftwerke über das geplante Ende des letzten deutschen Meilers in 32 Jahren hinaus und gleichzeitig neue Technologien, die nicht da sind, und Energiesparmaßnahmen und so weiter und so weiter.
Jedem nach dem Munde reden kann auch Politik sein, wenn’s nicht auffällt und auf diese Weise das verfolgte Ziel der langfristigen Kernkraftnutzung unspektakulär erreicht wird. Wie gut, dass die Welt diesen grässlichen Ami-Teufel George W. Bush hat, der für sie die Drecksarbeit erledigt. Der als Ölmann gescholtene amtierende US-Präsident gibt dieser Tage auf dem G8-Gipfel im japanischen Toyako einmal wieder den Atom-Mann, ein undankbarer Job, obwohl er nur benennt, was Tatsache ist. Denn es steht fest, dass realiter weltweit noch sehr lange mehr und mehr Atomstrom durch das Weltnetz fließen wird.
Mit dem Untergang der Fischer-Grünen 2005, die sich auf den harten Oppositionsbänken (von der Öffentlichkeit kaum bemerkt) neu erfinden müssen, ist das überspannte, überladene, überhitzte und im Psychowahn entkernte Thema der Atomkraftnutzung immerhin eingeschränkt wieder diskutierbar geworden.
Wen wird in 32 Jahren, wenn nach der noch geltenden Planung, der letzte deutsche Reaktor Geschichte sein soll, noch interessieren, was heute hitzig diskutiert wird? Wen wird 2050 interessieren, was auf dem derzeitigen G8-Gipfel über CO2-Reduktion phrasiologisiert wurde? Die nach derzeitigem Stand dann mächtigsten und CO2-produktionsstärksten Länder der Welt, die deren Geschicke bestimmen werden, Indien und China, werden vielleicht noch ein freundliches Achselzucken zu den dann historischen Bemühtheiten der deutschen Atomkraftgegner von heute haben. Und sie werden Atomstrom produzieren.
Natürlich ist dies kein Plädoyer gegen das vorrangige Gebot der Stunde mit Energie sorgsam umzugehen und den Verbrauch, wo es irgend geht, zu drosseln. Das Wachstum der Weltbevölkerung bedeutet einen Zuwachs an Energieverbrauch. Das Anwachsen des Lebensstandards in den ärmeren Regionen ohnehin und deswegen muss auch über umweltfreundliche Energien nachgedacht werden, ohne aus den Augen zu verlieren, was vielfältig subventionierter Wind- oder Sonnenstrom kostet und wie die Energiebilanz wirklich aussieht.
Derzeit geistert die Zahl von 50 Cent durch die Medien. Diesen Kleckerbetrag – so werden so genannten Experten zitiert - würde ein durchschnittlicher deutscher Haushalt monatlich an Stromkosten sparen, wenn die hiesigen Meiler in 32 Jahren noch weiterliefen. Zu solchen, interessengesteuerten Zahlen kann und muss man nicht all zuviel Gedanken verschwenden.
Die richtige Fragestellung kann alleine heißen: Was wäre, wenn alle Atomkraftwerke in Deutschland in dieser Sekunde abgeschaltet würden? Und diese Frage kann auch ein Marktlaie beantworten: Der Strom, den alle Menschen brauchen, würde in dem Moment seiner Abschaltung unbezahlbar werden, für den privaten Haushalt ebenso wie für die Wirtschaft. Das gleiche Szenario würde eintreten, wenn der Strom nicht heute, sondern morgen abgeschaltet würde. Oder Übermorgen oder an irgendeinem Tag X in den nächsten Jahrzehnten.
Das ist ja auch der Grund dafür, weshalb selbst die rot-grünen Phantasten den Atomausstieg auf 32 Jahre, also politisch gesehen de facto auf den St. Nimmerleinstag in die Zukunft vertagt haben. Die Rot-Grünen haben ihre 32-Jahresfrist als Zugeständnis an die Stormerzeuger verkauft. Tatsächlich handelt es sich um einen Akt ohne Gesichtsverlust vor ihre Anhänger treten zu können, denen sie etwas anderes – nämlich den sofortigen Atomausstieg - zuvor jahrzehntelang vorgegaukelt hatten. ( siehe auch der Artikel aus 2005 "Grün war die Hoffnung" http://www.cicero.de/97.php?ress_id=4&item=881 )
Ein anderes (nachgeschobenes) Argument für den hinausgeschobenen Atomausstieg an dem sie sich ideologisch verbeißen und den die Atomkraftgegner neuerdings gar zu einem grundgesetzlichen Gebot erheben wollen, ist, dass auf diese Weise Zeit gewonnen würde, um alternative Stromerzeugungstechniken zu entwickeln. Diese alternativen Stromerzeugungstechniken, mit denen in allen Diskussionen herumgefuchtelt wird, sollen in diesen 32 Jahren auf einen Effizienzgrad hin fort entwickelt werden, der es möglich macht, daß diese Techniken eines Tages Nuklearstrom ersetzen und die Wirtschaft voll versorgen können. Ob dieses Ziel erreichbar ist, steht allerdings in den Sternen.
Nach allem was technisch derzeit diskutiert wird, scheint die Frage legitim, ob die wissenschaftlich-technischen Ressourcen effizienter eingesetzt würden, wenn sie in den nächsten dreißig Jahren in die Fortentwicklung der Atomtechnik einflössen inklusive der notwendigen Entsorgungsfähigkeiten. Davon würde im Übrigen auch die permanente Pflege und Erneuerung bestehender Atom-Meiler profitieren.
Bei der Verteufelung der Atomenergie, wie sie in Deutschland Tradition hat, muss man sich fragen, ob dies nicht gefährlich negative Auswirkungen für die Sicherheit der Menschen in den nächsten dreißig Jahren hat, da zu befürchten steht, das sich immer weniger qualifizierte Techniker auf den sterbenden Atom-Ast setzen wollen.
Es gibt kaum ein zweites Feld in der aktuellen Politik, auf dem soviel geheuchelt und soviel Parolen gedroschen werden, wie auf jenem des Atomkomplexes. Noch ist nicht entschieden, ob das Atom die Sprengkraft besitzt zum Hauptwahlkampfthema zu werden im Rahmen des sich schon jetzt abzeichnenden Lagerwahlkampfes. Jedenfalls sind Energieversorgung und Energietechnik besonders wichtige Zukunftsfragen der Wirtschaft und der Gesellschaft, die nicht mit den Rezepturen aus den Schlachten um die AKWs in den späten siebziger und achtziger Jahren zukunftsweisend entwickelt werden können.
Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Atomkraftgegner weniger, als derzeit behauptet wird, von ihren alten ideologischen Ansätzen beherrscht sind, als vielmehr von ihren eigenen Biographien gefangen sind; das Veteranentum der Antiatomkraft-Legionäre, das in den Achtzigern kein Wochenende ausließ auf die Schlachtfelder um die Atomkraftwerke Brokdorf, Wackersdorf usw. zu ziehen, scheint seine letzte Schlacht jetzt in Schlips und Kragen um den endgültigen Garaus für Atomkraftwerke – koste es, was es wolle - schlagen zu wollen.
Dabei steht die SPD von Kurt Beck über Hubertus Heil bis hin zu Sigmar Gabriel im Begriff den Fehler zu machen das Moment der Verbissenheit von den Grünen zu übernehmen. Die Grünen ihrerseits scheinen heilfroh zu sein, dass sie den Atomklotz allmählich loswerden.
Es dürfen Wetten angenommen werden, dass auf dem Gebiet der Bundesrepublik auch in fünfzig Jahren noch nuklear betriebene Kraftwerke zum Nutzen aller, auch ihrer Gegner, in nennenswertem Umfang mit Strom erzeugen werden. Die Atomdebatte wälzt seit Jahren viel heiße Luft um und das Pro-Kopf der Bevölkerung gesehen knapper werdende Öl wird die Energiepreise insgesamt derart galoppierend nach oben treiben, dass Atomstrom immer unverzichtbarer werden wird.
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