Warum Erich Honecker, Erich Mielke und Gregor Gysi nicht IM genannt werden dürfen
von Bettina Röhl
Der Untersuchungsausschuss des Bundestages hat Frau Birthler gestern noch einmal mit einer Einschätzung aller Dokumente zu Gregor Gysi beauftragt. Erst im September wird entschieden, ob es zu einem erneuten Überprüfungsverfahren in Sachen Gysi kommt.
Wo liegt eigentlich das Problem?
Erich Honecker ist zwar fast immer mit Hut, aber immer mit offenem Gesicht und stets mit seinem eigenen Klarnamen in der DDR herumgelaufen. In allen bekannten Akten und in allen gleichgeschalteten DDR-Medien wurde nie ein Fall bekannt, in dem Erich Honecker beispielsweise „Notar“ oder „Gregor“ offen oder klammheimlich genannt wurde, er wurde nie als IM Dachdecker bekannt oder als IM Honni.
Nein, nein, es war schon so, dass Erich stets der Genosse Honecker war (Gen. Honecker). Und für seine Drecksarbeit hatte er sich noch einen anderen Erich besorgt, den Massenmörder Erich Mielke, wie man ihn wohl zutreffend wird nennen müssen, den stalinschen Säuberer im spanischen Bürgerkrieg und den aktiven Executer an der deutsch-deutschen Grenze und innerhalb des DDR-Systems. Aber: Auch Erich Mielke war kein IM.
Abgesehen davon, dass es zur pathologischen Paranoia der Kommunisten, auch in der DDR und in Westdeutschland, gehörte - weit inflationärer als kleine Jungs kurz vor der Pubertät beim Indianerspiel – sich irgendwelche Decknamen zuzulegen, was einen vollkommen anderen Sachverhalt betrifft, ist nicht bekannt, dass der Stasichef Mielke jemals IM seiner eigenen Organisation gewesen ist. Fast 200 000 IMs in der ehemaligen DDR arbeiteten für Honecker und Mielke und waren deren Befehlsgewalt unterstellt. Allein, Honecker und Mielke selber waren nicht IM.
Nein, um IM zu sein, dazu waren Honecker und Mielke und die Nomen Klatura, zu der auch Klaus Gysi gehörte, viel zu „souverän“, das hatten diese Herren nicht nötig. IM? Igittigitt, das ist doch einfach lächerlich.
Die Bundesrepublik macht sich lächerlich
Tatsächlich lächerlich macht sich die Bundesrepublik Deutschland seit der Wiedervereinigung vor 20 Jahren mit ihrer Behandlung des Falles von Sohnemann Gregor Gysi, dessen Vater Klaus bekanntermaßen ein Schwergewicht im DDR-Establishment war.
Die Beweislage zu Lasten Gregor Gysis, dass dieser IM der Stasi war, wird von den zuständigen Behörden und Untersuchungsausschüssen und der Justiz, also von allen, die sich mit dem Fall länger und intensiver auseinandergesetzt haben, für erdrückend gehalten. In einem Überprüfungsverfahren des zuständigen Bundestagsgremiums von 1998 wurde bereits festgestellt, dass eine inoffizieller Mitarbeiter Gysis bei der Stasi als „erwiesen“ anzusehen sei.
Bei einer vergleichbaren Beweislage in einem Strafverfahren, um das es hier im Fall Gysi nicht geht, würde jedes Gericht mit dem Spruch „zur Überzeugung des Gerichtes steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass…“ der Angeklagte verurteilt werden. Dies gilt, wie gesagt, für den verfassungsrechlich sensibelsten Bereich, nämlich das Strafrecht. Und man würde denken, dass es dann erst recht für die bloße Beurteilung einer IM-Tätigkeit, die ja für sich gesehen nicht strafbar ist, gelten müsste.
Gysi hat in Sachen des Gigantvermögens der SED keine gute Figur gemacht, sondern eine, die man als durchaus schlecht bezeichnen kann. Das ficht Gysi nicht an und das hat einen Grund. Und das ist derselbe Grund, weshalb ihn auch die neuerlichen Beweismittel aus der Birthlerbehörde betreffend IM-Tätigkeit nicht anfechten. Dieser Grund liegt in einer katastrophalen medialen Verzerrung und Verfälschung und Manipulation der Person und des Wirkens des Gregor Gysi. Anders ausgedrückt: in dieser permanenten veröffentlichten Fehlinterpretation Gysis haben Tatsachen, hat die Wirklichkeit keine Chance. Und so hat auch die Aufdeckung und die Be-und Verurteilung der IM-Tätigkeit Gysis keine Chance. Ebenso wie die oben erwähnte Feststellung des „Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung“ des Bundestages, die politisch, medial auf eine geradezu gespenstische Weise folgenlos blieb.
Kritisch und zwar in einem essentiellen Sinne wird es, wenn der von den Medien erzeugte Druck so groß wird, dass die gewählten Parlamentarier des Deutschen Bundestages frustriert den Kopf in den Sand stecken. So klingen die Stimmen, die aus dem Immunitätsausschuss, der sich aktuell erneut mit der Frage der IM-Tätigkeit von Gysis zu beschäftigen hat, resigniert. Der CDU-Abgeordnete Thomas Strobl, Vorsitzender der Ausschusses, heute auf Nachfrage zu der Autorin:
"Bereits 1998 hat der Ausschuss mit einer 2/3-Mehrheit festgestellt, dass Gregor Gysi als "Inoffizieller Mitarbeiter" tätig war. Auf der Basis der neuen
Dokumente hat der Ausschuss die Birthlerbehörde gestern entsprechend
beauftragt. Im September werden wir dann entscheiden, ob wir noch einmal
förmlich in der Sache einsteigen. Entgegen dem Anschein, der
manchmal erweckt wird, geht es nicht um die Aufhebung der Immunität des
Gregor Gysi, sondern nur um die Feststellung, ob hier eine IM-Tätigkeit
Gysis vorlag oder nicht. Wir wollen Transparenz herstellen. Für die Konsequenzen unserer Feststellung sind dann andere zuständig."
Andere, zum Beispiel die Politik, die Medien und die Justiz, die allerdings allesamt bisher mehr oder weniger versagt haben.
Mit der Immunität scheint es so eine Sache zu sein; normale Abgeordnete bedürfen des Schutzes der ihnen verfassungsrangig garantierten Immunität. Nicht so Gysi. Gysi gehörte zu jenen Leuten des bundesdeutschen Establishments, die nicht nur sakrosankt sind, sondern alle normalen menschlichen und Mediengesetze auf den Kopf stellen. Das ist das Phänomen und das System Gysi. Jedes Fürzchen, das er lässt, schafft es in die Medien. Jede Verlautbarung, die er lancieren möchte, wird kommuniziert. Er ist ein Talkshow-Liebling, er ist immun gegen jede Anfeindung, weil er von den Medien täglich neu immunisiert wird. Ihn ficht nichts an, weil alle Anfechtungen von ihm ferngehalten werden oder jeder, der ihn anficht, kampagnenartig attackiert wird. Gysi ist im veröffentlichten Raum hoffnungslos überrepräsentiert.
Alle normalen Gesetzmäßigkeiten des öffentlichen Raumes funktionieren im Fall Gysi in einer diametral unangemessenen und falschen Richtung. Gysis Selbst-Exkulpationskampagne gegen Parlament, Justiz, gegen die Gesellschaft und gegen die Bundesrepublik Deutschland West insgesamt werden auf eine Art rüber gebracht, als wenn Gysi der strahlende Jäger sei und die Gesellschaft die schuldbewusste Gejagte, die Beute.
Zaghaft und allen Mut zusammen reißend haben Parlamentarier der großen Koalition und der Grünen und der FDP nach dem Bekanntwerden der neuen Dokumente aus der Birthler-Behörde Gysi aufgefordert freiwillig das zu tun, was das Schicksal sonst üblicherweise für tatsächliche oder mutmaßliche IMs parat hält, nämlich Ämterverzicht und den Abzug von der politischen Bühne.
Im Fall Gysi kontert Oskar Lafontaine, der mit Gysi die Doppelspitze der neuen Linkspartei bildet, im Parlament, dass die Chefin der nach ihr benannten Birthler-Behörde, Marianne Birthler, zu verschwinden hätte und das wird dann auf eine Art und Weise kolportiert, als wenn dies normale demokratische Opposition und der Sache nach überhaupt eine Option sei.
Die Absurdität der Forderung des Rücktritts von Marianne Birthler wird unterdrückt mit der Folge, dass eine Art Transformation diese Absurdität dahin stattfindet, dass nun plötzlich die bundesdeutschen Behörden, die Gysis IM-Tätigkeit beleuchten, als etwas absurd erscheinen.
Lafontaines Forderung wirkt so ähnlich wie die eines durch eine Videokamera überführten Kaufhausdiebes, der schreit, dass der für den Gerichtssprengel zuständige Generalstaatsanwalt geschasst werden müsse. Nur diesem Kaufhausdieb gibt niemand ein Forum.
Warum sich alle seit zwanzig Jahren darauf kaprizieren Gysis weiß Gott nicht unwahrscheinliche Stasiverstrickung zu beweisen, wobei gleichzeitig kein Beweis als Solcher anerkannt wird, auch der Schlüssigste nicht, ist völlig unverständlich.
Selbst, wenn Gysi IM war, was die Birthler-Behörde mit guten Argumenten als für bewiesen erachtet, ist dies nicht einmal die gewichtigste biographische Gegebenheit des Gregor Gysi. Auch der jetzt diskutierte Mandantenverrat Gysis, der von Staats wegen dem DDR-Kritiker Robert Havemann als so genannter Pflichtverteidiger (es darf gelacht werden ) zugeordnet worden war, wäre politisch gesehen nicht der entscheidende biographische Kinken des Gregor Gysi gewesen.
Entscheidend war, dass Gysi aus dem DDR-Establishment kam, zum DDR-Establishment gehörte und mit dem DDR-Establishment kollaborierte, Gysi war Teil des DDR-Problems. Honecker und Mielke waren nicht IM. Sie waren deren Befehlshaber. Und alle Mitglieder des ZK waren nicht IM, sie waren de facto die Befehlshaber der IMs. Und sie waren die Partner des Gregor Gysi in Sachen Robert Havemann.
Der Fall Gregor Gysi ist vor allem ein politischer Fall, der nicht verklärt, mythologisiert und mit Legenden umrankt werden sollte. Es ist einer der bedeutendsten deutsch-deutschen Fälle. Immerhin ist Gysi die wichtigste Figur der in der Linken verschmolzenen PDS und er ist Sympathieträger der Linken im Osten wie im Westen.
Kurz vor dem Fall der Berliner Mauer betrat Gysi die große politische Bühne, in dem er auf dem Berliner Alexander Platz zur Stabilisierung der DDR unter anderem ein unabhängiges DDR-Verfassungsgericht forderte und so systemgefährdenden Protest der Bevölkerung abzufedern versuchte. Gysi war der Sache nach der letzte Parteichef der SED (ab dem 9.Dezember 1989) und der erste Vorsitzende der SED/PDS und dann der PDS. So gesehen war er der eingesetzte Erbe der untergehenden DDR-Nomen Klatura und er war jemand, der auf der weichen Welle die Konfrontation der beiden deutschen Staaten fortsetzen wollte, bis er sich in der unvermeidlichen Einsicht, dass die DDR Vergangenheit war, als genialer Wendehals zum bundesdeutschen Politiker wandelte.
Und jetzt singt Gysi das geniale Lied des Franz Josef Degenhard: Ja Grundgesetz, ja Grundgesetz, ja Grundgesetz, Sie berufen sich hier pausenlos aufs Grundgesetz. Sagen Sie mal, sind Sie eigentlich Kommunist?
Aktuell geistern Meldungen durchs Land, dass Gysi viele große und kleine Medien mit Gerichtshilfe in Anspruch nimmt und zum Schweigen bringen will, was seine mögliche IM-Verstrickung anbelangt oder was die Veröffentlichung von Dokumenten betrifft, usw. In jedem anderen Fall würde so etwas dazu führen, dass so jemand als Prozesshansel, als Streitsüchtiger, als Spielverderber, als Kleinkarierter und als für die Politik untragbarer Kandidat behandelt und medial „abgeschossen“ würde. Vor Gysi kneifen die Medien, ziehen den Schwanz ein und kolportieren auch noch ihre eigene Angst in einer Weise, die den Medienstar Gysi noch heller strahlen lässt als zuvor.
Allerdings bemerkenswert: Das ZDF ist nicht gleich vor Gysi eingeknickt, sondern hat es zu einem Gerichtsverfahren kommen lassen, in dem gestern ein formaljuristischer Entscheid des Landgerichtes Mainz gegen Gysi ergangen ist. Substanziell scheint die deutsche Justiz in Sachen Gysi durchaus auf einem ihn privilegierenden Kurs zu segeln.
Zum Vergleich: Ein Friedbert Pflüger, der vor ein paar Wochen – gerade eben noch in Erinnerung - eine rot-rote Medienkampagne einer Anne Will, die immerhin falsche Tatsache behauptet hatte, mit juristischer Hilfe angriff, sieht sich einer gegen seine Person gerichteten Kampagne einiger Medien ausgesetzt und wird wegen einer einzigen Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe bereits als „dünnhäutig“ bezeichnet und als jemand der abwegig handelte und überhaupt abwegig sei. Im Fall Gregor Gysi sind notorisch diejenigen, die sich überhaupt trauen sich essentiell mit dem Fall Gysi zu befassen, die Idioten und die Gelackmeierten und Gysis Medienstern steigt in kosmische Höhe, allerdings ohne jede substanzielle Gegenleistung des Gregor Gysi.
In allen Medien wurde verurteilt, dass Friedbert Pflüger den Rücktritt von Anne Will forderte, obwohl diese von einem privilegierten Posten aus eine rot-rote Kampagne gefahren hatte, womöglich ohne es selbst ganz genau zu wissen. Wer immer dagegen einen Rücktritt des Gregor Gysi forderte, könnte sich einer strafenden Medienreaktion sicher sein und hätte oft genug Glück, wenn ihm nicht der Vorwurf einer Anti-Gysi-Kampagne, einer natürlich völlig sinnlosen und überzogenen, gemacht würde.
Gysi ist trotz aller gegen ihn sprechenden Fakten politisch-korrekter Mainstream. Ihn zu kritisieren ist gerade noch „erlaubt“. Kritik mit Wirkung dagegen ist verpönt und wird mit Mainstream-Strafe geahndet. Tenor: Warum den armen Gysi immer wieder mit alten Stasiakten behelligen?
Gysi gehört zu jenen, die permanent und in seinem Fall auch besonders verklausuliert, das politisch-wirtschaftliche System kritisieren und die sich in eine Position hinein geredet haben, dass die Moral und irgendeine Richtigkeit mit ihnen sei. Den aggressiven Klassenkampf überlässt dieser Führungstypus der Linken gern irgendwelchen Subalternen, von denen man sich gegebenenfalls auch distanzieren kann, auf deren Wirken man aber dann im Zweifel doch setzt. Diese Methode macht es den Gegnern schwer.
Die erwähnte Forderung von Lafontaines, dass Birthler zurück treten müsse, disqualifiziert Lafontaine politisch, aber auch moralisch. Das geht über die vom Grundgesetz verlangte politische Interessenvertretung im parlamentarischen System hinaus. Aber niemand fordert Lafontaine ernsthaft zu einer förmlichen Korrektur auf.
Es ist heutzutage Mainstream das herrschende System der Bundesrepublik in einer linken Attitüde, die nichts mit links zu tun hat, massiv unter Generalverdacht zu stellen – dies ist eine der Erbschaften der so genannten 68er-Zeit, wobei die Infragesteller schizophrener Weise selber zum führenden Establishment, teilweise zur Regierung und zu den anderen Staatsgewalten gehören. In dieser durch und durch schizophrenen Grundsituation, die den veröffentlichten Raum bestimmt, nimmt es kaum Wunder, dass ein Fall wie der des Gregor Gysi nicht bewältigt werden konnte und nicht bewältigt wird.
Der Fall Gregor Gysi, der die Republik an der Nase herumführt, ist exemplarisch für die deutsch-deutschen Erblasten und auch von besonderer, aktueller, politischer Bedeutung, zumal in den heraufziehenden Wahlkampfzeiten.
Der Immunitätsausschuss sollte das Überprüfungsverfahren in Sachen Gysi ganz selbstverständlich ein drittes Mal durchführen. Der vorzugswürdige Weg der bei den Kommunisten sonst üblichen Selbstkritik des Gregor Gysi unter schonungsloser Offenlegung aller relevanten Fakten, ist einer, der für Gysi seit 20 Jahren offenbar nicht in Betracht kommt.
Das ewige Hase und Igelspiel der Kommunisten und ihrer Derivate schadet dem dort regelmäßig formulierten sozialen Anspruch. Man ergeht sich und verliert sich in ewigem Hickhack und kommt nie zu realen Lösungen sozialer Probleme, die es ja zweifelsfrei gibt.
Ein Medienliebling Gysi, der Lustigkaiser der Kommunisten, bringt eben keinem einzigen Arbeitslosen einen Job, aber er bringt viele Begehrlichkeiten und Unzufriedenheiten und Spannungen.
Gysi, der einst auf einem Besen in die gesamtdeutsche Geschichte geritten kam, tragisch-komisch, erscheint in einem sehr hohen Maße unfähig seine eigene Person zu reflektieren und er scheint an den Besen zu glauben, den er sich kurz nach der Wende gekauft hatte und mit dem er, von Westkameras gierig eingefangen, herumfegte um zu simulieren, dass er die alten Stasis und dergleichen auskehren würde.
Wer Gysi einmal persönlich kennen gelernt hat, der weiß, dass Gysi ein durchaus sympathischer Schelm ist, der gern anderen und sich selbst etwas vormacht. Und der ahnt auch, daß Gysi entgegen seinem öffentlichen Gesicht ein eigentlich eher einsamer Mensch sein könnte.
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